Von kleinen Jugendsünden

■ Heute Backstreet Boys, Caught in the Act und Boyzone. Gestern Depeche Mode, Volker Lechtenbrink und Joan Baez. War früher alles besser? Oder nur anders?

Tagelang bibbern. Stundenlang ausharren vor dem Hotel. Flehentlich die Eltern um Geld für eine Eintrittskarte bitten. Weinen, wenn Papa die Kohle nicht rausrückt. Mutter um Hilfe bitten und ihr ganz fest versprechen, zwei Wochen lang den Abwasch zu erledigen. Drängeln im Stadion. Die Konkurrentinnen beiseite schubsen. Und schließlich in Ohnmacht fallen, wenn die Götter auf die Bühne treten.

Immer und immer wieder die gleichen Szenen, wenn Boygroups auftreten. Heute sind es die Backstreet Boys. Und morgen? Und überhaupt? Ist das alles zu verstehen? Und wie war das eigentlich gestern? „Einfach anders“, sind sich die tazlerinnen Dorothee Winden, Barbara Junge und Julia Naumann einig. Eine Erinnerung an die Jugendjahre.

„Peinlich, peinlich“, sagt Barbara (das Gesicht wird leicht rot), „früher habe ich auf Volker Lechtenbrink und Nana Mouskouri gestanden.“ „Echt?“, fragt Julia und kann sich die Bemerkung nicht verkneifen, „da muß was schiefgelaufen sein bei dir“. Und dann erzählt Babs die Geschichte mit dem Büchergutschein. „Ich war 13, habe einen Gutschein bekommen und mit dem Buchhändler im Ort einen Deal ausgehandelt.“ Keine Bücher für den Gutschein, sondern so lange eine Bravo bis der Wert aufgebraucht ist. Der Buchhändler war ein netter Mann, er willigte ein. Für Babs gab's fortan jeden Donnerstag in der Mittagspause nur einen Weg: Den zum Buchhändler um die Ecke. Danach stand Handarbeit auf dem Stundenplan, und die Bravolag in der Schultasche.

Und wie war's bei dir, Julia? „Ich war blond und hatte lange Haare, stand auf Abba und später auf Depeche Mode.“ Die erste Abba- Platte hatte sie mit neun, mit 14 hatte sie die Haare zum ersten Mal hochgefönt – Depeche Mode war gerade total in. „Ich stand stundenlang vor dem Spiegel und habe mich zurechtgemacht.“

Das erste Konzert. Vier junge Mädchen aus der Nähe von Stuttgart fahren nach Würzburg, eine davon, am Steuer, Dorothee. Joan Baez hatte sich angesagt. „Für mich war klar, daß ich zum Konzert fahren würde.“ Joan Baez und Joni Mitchell seien für sie Ikonen gewesen – Joan Baez vor allem wegen der politischen Texte und ihres Weltverbesserungsansatzes, Joni Mitchell wegen der melancholischen Ausstrahlung. „Von Joni Mitchell“, sagt Doro, „hatte ich ein Songbook. Ich habe versucht, selber zu spielen.“ Na ja, es sei mißglückt. Joan Baez? „Ja“, erinnert sich Julia, „die fand ich damals auch toll. Bei einem Konzert in der Waldbühne habe ich sogar geweint.“ Da war sie gerade mal 12 und durfte schon Konzerte besuchen. Doro, schon in der Feministinnen-Bewegung, war enttäuscht von der Folksängerin. Der politische Anspruch von Joan Baez sei bei dem Würzburger Konzert nicht rübergekommen. „Sie hat das Konzert einfach runtergerissen.“ Sie sei ziemlich unengagiert gewesen. Für sie sei das das Ende des Fan-Daseins gewesen.

Ach ja, das erste Konzert? „Auch wenn es bitter ist, ich gebe es zu: Mein erstes Konzert war Zupfgeigenhansel“, sagt Barbara. Die schwäbische Friedensbewegung habe sich damals eben noch in der Volksmusik manifestiert. „Mein Gott, Babs“, seufzt Julia, die Berlinerin. Und Barbara erzählt schnell weiter: Später habe sie auch AC/DC gehört, vor allem im Schullandheim, und auch die Beatles. „Ich war sogar in Liverpool und habe mir bei der Fantour die Penny Lane und die Strawberry Fields angesehen.“

Noch ein paar Geschichten von damals. Doro trug knallgrüne Schlaghosen mit orangefarbenen Blümchen und Plateauschuhe. Babs hat auf Schulfeten so einen „komischen Stehblues“ getanzt. Und Julia hat im Zeltlager sogar „Am Fenster“ gehört, das Kultlied der Ost-Berliner Band City.

Und heute? Babs sagt: „Campino finde ich echt geil.“ Julia meint: „Die Hysterie der Girls kann ich nicht verstehen.“ Jens Rübsam