Sachleistungen würdelos

■ Nach OVG-Beschluß werden Flüchtlinge ihren täglichen Bedarf nur noch unter schwierigen Bedingungen decken können. Sachleistungen mit Gesetz vereinbar

Die Versorgung von AsylbewerberInnen und Flüchtlingen wird sich ändern: Nach einem Beschluß des Oberverwaltungsgerichts ist der Weg frei, auf alle Flüchtlingsgruppen in der Stadt das vielfach kritisierte Sachleistungsprinzip auszudehnen. Es bedeutet, daß die Menschen kein Bargeld erhalten, sondern den Bedarf ihres täglichen Lebens über ein Warenkonto decken müssen. Bislang waren davon rund 2.300 AsylbewerberInnen betroffen, die auf Anweisung der Sozialsenatorin ihre Einkäufe ausschließlich in zwei Magazinläden der Sorat GmbH tätigen durften. Über die Situation der rund 30.000 von den Bezirken betreuten Flüchtlinge wird kommende Woche bei einer Sitzung der SozialstadträtInnen mit Sozialsenatorin Beate Hübner (CDU) diskutiert.

Beate Hübners Sprecherin Gabriele Lukas nahm gestern die bisherige katgegorische Linie ihrer Chefin zurück. Die Sozialsenatorin wolle lediglich eine „einheitliche Linie“ bei der Versorgung von Flüchtlingen erreichen, sagte Lukas. Hübner stelle es den Bezirken frei, „wie sie das neue Asylbewerberleistungsgesetz umsetzen“, sagte Lukas der taz. Damit bleibt offen, ob auch in allen Bezirken spezielle Einkaufsstellen für AsylbwerberInnen eingerichtet werden. Einige Bezirke geben bereits jetzt statt Bargeld sogenannte Wertgutscheine aus. Dies bedeute einen ungeheuren Verwaltungsaufwand, kritisieren andere SozialstadträtInnen, und verstoße gegen einen menschenwürdigen Aufenthalt der Flüchtlinge.

Das Oberverwaltungsgericht hatte mit seinem Beschluß die beiden Magazinläden als mit dem Gesetz vereinbar erklärt. Damit hatte es eine erstinstanzliche Entscheidung aufgehoben, wonach die zentralen Magazinläden ein unzulässiges Monopol darstellten. Das Angebot für eine 13köpfige Asylbewerberfamilie sei dadurch so eingeschränkt, daß sie das Recht auf die Auszahlung von Bargeld habe. Das OVG hat diesen Beschluß nun zurückgenommen. „Der Gesetzgeber“, so lautet der Kernsatz des Beschlusses, „hat einen Anspruch auf Warenauswahl nach dem breiten Marktangebot nicht garantiert.“ Zu deutsch: Der Gesetzgeber wollte es geflüchteten Menschen so unbequem wie möglich machen, und die Sozialsenatorin führt die Bestimmungen aus.

Unterstützergruppen für die Schutzsuchenden empörten sich gestern über den OVG-Beschluß. „Das Urteil ist ein Skandal“, sagte Elisabeth Reese von der Heilig- Kreuz-Gemeinde in Kreuzberg. Die Flüchtlinge fielen durch die Praxis der zentralen Versorgung unter die Armutsgrenze. Der niedrigere Satz an Sozialhilfe für Asylbewerber werde durch das eingeschränkte Warenangebot und die langen Fahrzeiten weiter gemindert. Reese sagte, der Beschluß werde vielleicht dem Asylbewerberleistungsgesetz gerecht, aber er verstoße gegen den höchsten Verfassungsgrundsatz: die Menschenwürde. Christian Füller