Das Land der schwarzen Berge

■ Montenegro weckte schon immer Begehrlichkeiten: Die kleinste Republik des ehemaligen Jugoslawiens hat eine wechselvolle Geschichte und schöne Strände

Die Hauptstadt läßt man am besten möglichst schnell hinter sich. Podgorica, das von 1945 bis 1992 Titograd hieß, hat touristisch nicht viel zu bieten. Es ist eine Kleinstadt mit knapp fünfzigtausend Einwohnern, den üblichen häßlichen Wohntürmen an der Peripherie. Überreste der alten Festung erinnern an die vier Jahrhunderte, während derer die Türken von hier aus ihre Heereszüge gegen Montenegro auf den Weg schickten. Erst als Folge des Berliner Kongresses von 1878, als Bismarck die politischen Verhältnisse auf dem Balkan neu ordnete, wurde Podgorica zu Montenegro geschlagen. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde es dessen Hauptstadt.

Das eigentliche Herz Montenegros aber ist Cetinje, ein kleines Städtchen in den karstigen Bergen, weniger als eine Autostunde von der Hauptstadt entfernt. Hier errichtete der Metropolit Ivan Crnojević, von den Türken in die Flucht geschlagen, 1482 seine Residenz, und zwei Jahre später das Kloster. Hier gründete sein Sohn Djurad die erste kyrillische Druckerei. Cetinje entwickelte sich zum Refugium montenegrinischer Kultur und zum Hort des Widerstands gegen die türkische Herrschaft und mußte dafür teuer bezahlen: 1692 ließ der Pascha von Shqoder (im heutigen Nordalbanien) in einer Strafexpedition sämtliche Häuser zerstören, das Kloster eingeschlossen. Die Rache war schrecklich: Zehn Jahre später, am Weihnachtstag 1702, ließ Fürstbischof Danilo Petrović Njegos, Begründer einer Dynastie, die sich vom Onkel auf den Neffen vererbte und die das Land bis zum Ersten Weltkrieg regierte, in seinem Herrschaftsbereich sämtliche Muslime – ob Türken, Albaner oder konvertierte Serben – hinmorden. Weitere zehn Jahre später zerstörten die Türken das Kloster erneut. Der Fürstbischof ließ es an derselben Stelle wieder aufbauen, so wie es sich noch heute dem Besucher zeigt: ein majestätischer Komplex von Kirche, übereinandergeschichteten Arkaden in grauem Stein, zum Teil direkt in den Felsen gemeißelt. Das Bild des populärsten Fürstbischofs hängt heute in jeder Bauernstube Montenegros: Petar II. Petrović Niegos wurde im Jahre 1830 mit 17 Jahren weltlicher und kirchlicher Herrscher des kleinen Reichs im unwegsamen Gebirge. Der in Rußland ausgebildete Kirchenmann ist nicht nur als moderner Politiker – er gründete die erste Schule seines Landes –, sondern auch als Literat in die Geschichte Montenegros eingegangen. Sein in zahlreiche Sprachen übersetztes Hauptwerk, „Der Bergkranz“, handelt vom heroischen Kampf gegen die Türken. Es ist eine Eloge auf die Serben, zu denen sich auch die allermeisten Montenegriner zählen. Der in Montenegro geborene bosnische Serbenführer Radovan Karadžić, wegen Kriegsverbrechen in Den Haag angeklagt, trägt, so behauptet jedenfalls sein Biograph Marzio Mian, das Buch immer in der Hosentasche.

Heute wird das Stadtbild von Cetinje durch zahlreiche herrschaftliche Villen geprägt, die um die letzte Jahrhundertwende gebaut wurden. Es sind die ehemaligen Botschaften Rußlands, Österreich-Ungarns, Italiens, Frankreichs, Großbritanniens und der Türkei. Sie alle schickten Diplomaten nach Cetinje, in das auch damals nur zehntausend Einwohner zählende Hauptstädtchen des kleinen Bergreichs, das vom Berliner Kongreß 1878 international anerkannt wurde. 1918 zogen die letzten ab. Montenegro, seit 1910 Königreich, hatte aufgehört, als souveräner Staat zu bestehen. König Nikola dankte ab, um sein Land in das neu entstandene Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen, das sich von 1929 an Jugoslawien nannte, einzugliedern. Montenegro war die kleinste Republik des nunmehr zerbrochenen Jugoslawiens.

Der Name ist die Übersetzung des serbischen Crna gora (schwarzes Gebirge) in das Sabir, die ehemalige „lingua franca“ der Seeleute des Mittelmeers. Den hundert Kilometer langen Küstenstreifen, den es zum Teil 1878, zum Teil nach dem Zusammenbruch Österreich-Ungarns 1918 zugestanden erhielt, überblickt man am besten vom Mausoleum Niegos' aus. Auf dem 1.660 Meter hohen Gipfel des Lovćen-Gebirges bietet sich ein eindrucksvolles Panorama auf die zerfurchte Bucht von Kotor, eine von dicken Mauern umgebene Hafenstadt, die durch zwei Landengen vom offenen Meer getrennt ist. Diese ideale Lage weckte schon immer Begehrlichkeiten und machte die Stadt zum Zankapfel. In der Antike verdrängten die Römer die Illyrer, später fielen die Ostgoten ein, die Sarazenen und Byzantiner plünderten und verwüsteten die Stadt. Kotor war der wichtigste Hafen des mittelalterlichen Serbenreichs der Nemaniden, fiel dann unter ungarisch-kroatische Herrschaft und wurde schließlich vom bosnischen König eingenommen. Nach dem dreißigjährigen Intermezzo der selbständigen Republik Kotor fiel die Stadt fast vier Jahrhunderte lang unter venezianische Herrschaft. Nach dem Zusammenbruch der Republik Venedig wechselten sich Österreich, Frankreich und Rußland in der Besetzung der Stadt ab, bis sie der Wiener Kongreß 1915 Österreich-Ungarn zusprach, wo sie bis 1918 verblieb. Diese wechselhafte Geschichte hat sich auch im Stadtbild niedergeschlagen. Von der katholischen Kathedrale, einer romanischen Basilika, zur orthodoxen Episkopalkirche in serbisch-byzantinischem Stil sind es nur wenige Schritte. Vor allem aber lohnt sich ein Spaziergang durch die engen Gassen, die fast immer auf einen Platz mit Straßencafés münden. Wem in Montenegro der Sinn nach Badefreuden steht, bewegt sich am besten weiter südwärts, zum Beispiel nach Budva, einer ebenfalls ummauerten Stadt, die als Halbinsel ins offene Meer hineinragt, ebenfalls vom Erdbeben zerstört, aber wieder vollständig aufgebaut wurde. Wer Geld im Überfluß hat, kann sich auch in Sveti Stefan niederlassen, einer Insel, die durch eine schmale Sandbank mit dem Festland verbunden ist, wo vor allem Autos – vorwiegend besserer Klasse – aus Belgrad geparkt sind. 1952 wurden die letzten Bewohner der Insel ausgesiedelt. Heute besteht das Eiland aus achtzig Hotels. Auch der zwölf Kilometer lange Sandstrand zwischen Ulcinj und der Grenze zu Albanien ist zu empfehlen. Die Stadt selbst wird zum Teil von muslimischen und katholischen Albanern bewohnt und hat neun Moscheen. Aus den Kneipen dröhnt orientalische Musik. Die Straßenschilder sind zweisprachig: in kyrillisch geschriebenem Serbisch und in lateinisch geschriebenem Albanisch. Ulcinj fiel schon 1571 an die Türken. Sie siedelten über vierhundert algerische Piraten in der Stadt an, die einen Sklavenmarkt gründeten. Auch heute noch trifft man in Ulcinj auf schwarze Serben, vermutlich Nachkommen einer Gruppe von Afrikanern, die der Kapitän Selim Surla im 19. Jahrhundert importierte. Thomas Schmid