Finale im polnischen Sommertheater

■ Polens Regierung droht zu stolpern. Über einen Mißtrauensantrag der Bauernpartei. Die sitzt mit im Kabinett

Warschau (taz) – Kann eine Regierungspartei der Regierung das Mißtrauen aussprechen? Vor diesem Dilemma steht Polens Bauernpartei dieser Tage. Das Problem hat sie sich selbst eingebrockt beim Versuch, etwas Leben in den müden Wahlkampf zu bringen, der gerade begonnen hat. Nun ist noch ein zweites Dilemma hinzugekommen: Kann die Bauernpartei, ohne politisch Schaden zu nehmen, auch noch gegen das Mißtrauensvotum stimmen, das sie gerade selbst eingebracht hat?

Polens Bauernpartei, seit vier Jahren in der Regierung, ist eigentlich eine typische Protestpartei und knapp vier Wochen vor den Parlamentswahlen auf dem absteigenden Ast. Würde bereits am nächsten Sonntag gewählt, könnte die Partei nur einen Bruchteil ihrer bisherigen Abgeordneten ins Parlement schicken. Viele Wähler würden sich statt dessen für die Rechtsparteien oder die Sozialdemokraten entscheiden.

Einige eher kleine Bauernproteste in der Provinz kamen da wie gerufen. Wegen der Überproduktion von Getreide mußten die Bauern auf ihre Bezahlung warten, mit der sie die Produktion für das nächste Jahr vorfinanzieren müssen. Prompt brach die Bauernpartei einen Streit um den Getreideaufkauf durch die staatliche „Agraragentur“ vom Zaun: Landwirtschaftsminister Jaroslaw Kalinowski (Bauernpartei) möchte, daß die Agentur den Bauern Anzahlungen leistet; Finanzminister Marek Belka (parteilos) will ihnen subventionierte Kredite geben.

Die Bauernpartei erhob den Streit zur Prinzipienfrage und brachte einen Mißtrauensantrag gegen Premierminister Cimoszewicz ein, der sich auf die Seite seines Finanzministers gestellt hatte. Daß der Antrag angenommen werden könnte, damit rechnete niemand. Wohl auch die Bauernpartei selbst nicht, die, hätte sie ernst machen wollen, einfach ihre Minister aus der Regierung hätte abziehen können.

Dann aber hätten Cimoszewicz und seine Genossen bis zu den Wahlen womöglich allein regiert und die vielen Woiwoden und Vizewoiwoden, Vizeminister, Abteilungsdirektoren und Aufsichtsratsvorsitzenden der Staatsbetriebe kurz vor den Wahlen entlassen. Zudem hatte Präsident Kwasniewski erklärt, er werden den Rücktritt der Regierung kurz vor den Neuwahlen am 21. September nicht annehmen.

Zur Hilfe kam den Bauernpolitikern ausgerechnet Premierminister Cimoszewicz, der bekannt ist für seine Sturheit und seinen Hang, die beleidigte Leberwurst zu spielen. In einem offenen Brief erklärte er die Koalition für gescheitert, was aber – so betonten schnell einige Sozialdemokraten – nicht heiße, daß sie beendet sei.

Es kam, wie es kommen sollte: Die Spitzen der Koalition einigten sich hinter den Kulissen auf einen Kompromiß zum Getreidekauf, der jetzt aus einem Sonderfonds zur Behebung der Hochwasserschäden finanziert werden soll. Einen entsprechenden Parlamentsbeschluß brachte die Bauernpartei gestern ein. Nächste Woche wird der Ministerrat über die Details des Getreideankaufs entscheiden. Daß die Koalition auseinanderbricht, gilt in Warschau als unwahrscheinlich – das würde beiden Parteien Stimmen kosten.

Nur haben die Koalitionäre bei der sich abzeichnenden Einigung die Rechnung ohne die Verfassung gemacht. Derzufolge kann ein Mißtrauensantrag nicht zurückgezogen werden. Also wird sich die Regierung am nächsten Donnerstag über den Getreidekompromiß einigen und am Tag darauf dann die Bauernpartei gegen ihren eigenen Mißtrauensantrag stimmen.

Auch die Hoffnung, hart bleiben zu können, weil die Opposition sich an der „Paranoia“ (Präsident Kwasniewski) nicht beteiligt, hat sich zerschlagen. Nach anfänglicher Ablehnung hat Bronislaw Geremek, der Fraktionschef der oppositionellen Freiheitsunion, inzwischen angekündigt, seine Partei werde nun doch für den Mißtrauensantrag stimmen.

Lachender Dritter bei dem ganzen Theater ist die rechte Opposition mit der „Wahlaktion Solidarność“ an der Spitze, die auf dem Lande um die gleichen Wähler wirbt wie die Bauernpartei. Bisherigen Umfragen zufolge ist die „Wahlaktion Solidarność“ mit 28 Prozent sogar den Sozialdemokraten davongezogen. Jacek Pawlicki