Einmal noch dem Egon zujubeln

■ Der Ex-Staatsratsvorsitzende Egon Krenz ließ sich vom kommunistischen PDS-Flügel ein letztes Mal feiern. Am Montag wird das Urteil im Politbüro-Prozeß gegen ihn verkündet

Berlin (taz) – Gut, daß man Freunde hat: „Ich habe mich auf der Anklagebank nie allein gefühlt“. Egon Krenz dankt bewegt bei den Anwesenden für die solidarische Unterstützung. Und klar auch, daß er die habe gut gebrauchen können während der vergangenen 115 Prozeßtage vor dem Berliner Landgericht. Den ersten Applaus gibt es, als Krenz den Saal betritt, den zweiten für den Satz: „Auf der Anklagebank saß und sitzt die DDR.“ Es ist Donnerstag abend, der blaue Salon im Berliner Verlagsgebäude des Neuen Deutschland platzt aus den Nähten. Zur Diskussion hat die Kommunistische Plattform der PDS eingeladen, der Genosse Egon Krenz soll ein Resümee des Politbüro-Prozesses ziehen.

Vor drei Tagen hat der Staatsanwalt für den des Totschlags beschuldigten Krenz das horrende Strafmaß von elf Jahren Haft gefordert. In drei Tagen, am Montag, soll das Urteil fallen. Die Gemütslage des früheren Top-Kaders schwankt zwischen Trotz und Zorn. Auf der einen Seite beteuert der ehemalige Staatsratsvorsitzende und Honecker-Nachfolger den aus seiner Sicht politischen Hintergrund des Verfahren. Es gehe um nichts Geringeres, als daß „nie wieder gewagt werden soll, über eine sozialistische Alternative in Deutschland nachzudenken“. „Pogromhetze“ sei vor der Strafkammer betrieben worden, das Plädoyer des Staatsanwaltes nur „ein gehässiger Ideologievortrag“ gewesen, angestachelt von einer Bonner „Siegerpolitik“.

Auf der anderen Seite erleben die Anwesenden, zumeist im Rentenalter, einen eher nachdenklichen Mann, der die Toten und Verletzten an der innerdeutschen Grenze weder rechtfertigen kann noch will. Krenz: „Heute bin ich kritischer zu mir und unserer Sache. Wir wären sonst nicht in dieser Situation.“

Im Publikum muß Krenz keinen überzeugen. Ein 83jähriger stürmt ans Mikrofon, bekundet seine Solidarität mit dem „ehrenwerten Staatsratsvorsitzenden Krenz“, geißelt die juristische Aufarbeitung der jüngsten deutschen Geschichte als „Christenverfolgung moderner Art“.

Unter den Besuchern ist auch Heinz Stehr, Chef der real existierenden Deutschen Kommunistischen Partei. Er bietet eine eigenwillige Interpretation des Politbüro-Prozesses. Das Verfahren sei „Ausdruck der Schwäche dieses Systems“, die Herrschenden wüßten „keine Antwort, wie das Recht auf Arbeit durchsetzen, wie die Arbeitslosigkeit abzubauen ist“. Im Kampf für den Sozialismus dürfe nicht nachgelassen werden, auch das sei eine Lehre aus dem Prozeß. Egon Krenz blickt pikiert.

Noch einer meldet sich: Karl- Eduard von Schnitzler, legendärer Moderator der DDR-Fernsehsendung „Schwarzer Kanal“. Er dankt für die Erklärungen, die Krenz bei Gericht abgab: „Meine Hochachtung“. Es wird ein schwerer Gang für Egon Krenz am Montag. Natürlich habe er „keine Lust“, ins Gefängnis zu gehen, sagt er. „Aber um Gnade zu bitten, kommt für mich nicht in Frage.“ Wolfgang Gast