Spülreste rotieren im Zeitloch

■ „Soloensis“vom Sardono Dance Theatre beim Sommertheater

Eine Wasserstelle. Rückgrat, Schädeldecken und Oberschenkelknochen schwimmen wie Spülreste im Schlammbrei. Anfang und Ende eines zivilisatorischen Kreislaufs. Mondlandschaft, Hirnwüste oder karge Kulisse einer unbekannten Schöpfungsgeschichte? Sardono W. Kusumo – ganz weiß, ganz ruhig – steht wie der erste oder letzte Mensch vor der Ödnis. Langsam hebt er ein Bein, winkelt es spitz ab, setzt es in den Sand. Der Beginn einer Rückeroberung archaischer Ausdrucksformen.

Immer mehr Tänzer säumen die Wasserstelle. Sie atmen tief und geräuschvoll, gurgeln, blasen den Oberkörper bis zum Anschlag auf und lassen ihn in athletischen Wellenbewegungen zusammensurren. Manchmal schreit einer wie ein hoffnungslos verirrter Kranich. Ein anderer fliegt solidarisch mit ausgebreiteten Armen mit. Vorsichtig, fast respektvoll nähern sie sich der Wasserstelle. Eine seltsame Eroberung. Bizar, hermetisch und unendlich fremd. Auch das Wechselgespräch zwischen Bühnengeschehen und Fernsehbildern von den Fruchtbarkeits- und Hochzeitsritualen im Reisfeldschlamm vermittelt nichts von javanesischen Entstehungsmythen oder dem indischen Ramayana Epos, der Kusumo zu Soloensis inspiriert hat. Dokumentarische TV-Bilder, die nichts erklären, nichts zum folkloristischen Ausverkauf anbieten und sich alle Betulichkeit westlicher Verständniswut mit stolzem, langen Arm von der Pelle halten.

Das Publikum wird aufs schlichte Anschauen verwiesen. Kein Zeigegestus, der das fremde Rätsel in die Axiome westlicher Vernunftspiralen zwängt. Genau das macht die Radikalität dieses Stückes aus. Nicht seine unverständlichen Laute, nicht die unter gellendem Lachen hochgehaltenen Knochenmänner, nicht die Affenverwandlungen und nicht sein Tanz, dessen Rhythmus und Bewegungsvokabular kaum zu fesseln vermag.

Der verstörenden Pathos von Soloensis läßt das große, weltumarmende Palavern, das westliche Eine-Welt-Geraune als stumpfe Dummheit dastehen. Und wenn das Sardono Dance Theatre den großspurigem Reden während einer UNO-Sitzung das erste Wort auf der Bühne überläßt, dann nur um den barbarischen Kern aus dem Zivilisierten zu schälen. Da schwingt sich ein amerikanischer Ökonom zum Stabsarzt der Dritten Welt auf, schmatzt etwas vom „neuen Denken“, „neuer Technologie“und gezügelter Fortpflanzung. Und während all diese Erdlinge die Zauberformel Multikulturalismus feiern, beginnt unter diesen sprechenden Videobildköpfen der Sand auf der Bühne zu knirschen. B. Glombitza