Wenn Filmbilder bluten müssen

■ Dario Argento, der Meisterchirurg unter den Horror-Filmern, über Röntgenbilder und Zensur

Was Sergio Leone für den Spaghetti-Western war, ist Dario Argento für den Horror- Film. Er seziert das Genre, formuliert es völlig neu, so daß es aus den Schmuddelecken der billigen Splatter-Produktionen verschwindet und zum Edel-Horror-Film aufsteigt. Wie ein Kind, das wertfrei alles verwendet, was ihm zur Verfügung steht, verbindet Argento Trash mit Tiefenpsychologie und Triviales mit Terror. Mit schnellen Schnitten und einer pulsierenden Kamera, die in alles einzudringen scheint, wonach das Auge eines jeden Voyeurs täglich schmachtet, produziert der Italiener Filme, die wie eine Droge funktionieren. Nicht nur, daß sie die Zuschauer in einen Rausch versetzen, sie machen süchtig. Das diesjährige Fantasy Filmfest widmet Dario Argento eine Retrospektive und lud den großen Meister nach Hamburg ein.

taz: Ihre Filme haben immer mehrere Erzählstränge. Neben ausgefeilten psychologischen Studien, z. B. in Stendahl-Syndrom, enthalten sie eine Vielfalt an Zitaten über Kunst, Philosophie, Architektur, Wissenschaft und eine Reflexion über das Medium Film. Glauben Sie nicht, daß Sie bei der Fülle an Informationen, die sie ständig verarbeiten, etwas verrückt werden?

Dario Argento: Gelegentlich gerate ich vielleicht in diesen rauschhaften Zustand, wenn die vielen Informationen in meinem Kopf herumschwirren und Ansätze von Verschwörungstheorien erreichen. Da ich mich seit meiner Jugend mit der Psychoanalyse beschäftige, ist der Begriff „Verrücktheit“jedoch sehr dehnbar geworden. Außerdem ärgert es mich, daß viele Menschen Rückschlüsse von den Filmen auf meine Persönlichkeit schließen.

Für viele Kritiker ist der Fall längst klar: Sie sind ein postmoderner Regisseur par excellence. Sehen Sie das auch so?

Ich lese das häufig, habe jedoch nie darüber nachgedacht. Mir macht es ganz einfach großen Spaß, Dinge zu verkomplizieren und Gedanken zu verwirren. Deshalb zitiere ich alles, was ich mag.

Sie sind also daran interessiert, „hohe“und „niedere“Kunst miteinander zu verbinden und völlig unterschiedliche Genres gleichwertig nebeneinander zu stellen?

Ja, unbedingt. Ich behaupte, daß alles Kunst ist, was mich umgibt: eine Landschaft, das Gesicht einer jungen Frau, seltsame Augen, aber auch große Meisterwerke. Ich habe den Eindruck, daß ich diesbezüglich für viele Regisseure zum Vorbild geworden bin. Ich werde selber viel zitiert zum Beispiel von John Woo.

Glauben Sie an eine politische Wirkung ihrer Filme?

Wenn, dann auf einer subtilen Ebene. Plumpe Botschaften interessieren mich nicht. Deshalb stelle ich nie klare Opfer/Täter-Positionen her. Ein Opfer kann im Verlauf eines Filmes durchaus zum Täter mutieren. Ebenso sind die Motive der Mörder nie eindeutig. Ich arbeite sehr genau an differenzierten Persönlichkeitsstudien.

In Ihren Bildern durchdringen Sie immer die Oberfläche, indem Sie Dinge zeigen, die für das menschliche Auge normal nicht sichtbar sind. Sie verwenden zum Beispiel Röntgenbilder und Mikroskopaufnahmen. Ich bin besessen von der Idee, den Dingen auf den Grund zu gehen. Es gibt immer noch eine Ebene „dahinter“. Deshalb habe ich mir wohl auch das Medium Film ausgesucht, weil es mir die technischen Möglichkeiten gibt, die Dinge zu durchleuchten.

Ärgert es Sie, daß die Filme in vielen Ländern stark geschnitten werden bzw. auf den Index kommen?

Das macht mich traurig und wütend zugleich, weil es ein Kennzeichen für Autorität und Repression ist. Ich habe die Erfahrung gemacht, daß es immer abhängig von den entsprechenden Regierungen ist. In England zum Beispiel, unter Thatcher, durften viele meiner Filme nicht gezeigt werden. So kamen viele Leute aus ganz Europa in meinen kleinen Laden in Rom, um Video-Kopien zu kaufen. Darüber erfahre ich immer, wo die Zensur wieder zugeschlagen hat.

Haben Sie als Regisseur einen Einfluß darauf?

Leider nein. Ich bin schon froh, wenn man mir ermöglicht, die Filme selber zu schneiden, bevor irgendwelche Dilettanten Hand anlegen und Inhalte völlig verändern. Manchmal habe ich die Illusion, mit den Verantwortlichen zu reden, um ihnen alles zu erklären. Aber da das nicht geht, bin ich immer in der Versuchung, noch blutigere Filme zu produzieren, um diese bescheuerten Regierungen zu provozieren. Filme, die so schlimm sind, daß in jeder Minute eine Greueltat passiert – vom Anfang bis zum Ende.

Es ist auffällig, daß Ihre Hauptpersonen fast immer Frauen sind, die Sie so vielschichtig und sensibel inszenieren, daß man sich kaum vorstellen kann, daß diese Arbeiten von einem Mann sind.

Mir ist die Arbeit mit Frauen immer leichter gefallen. Frauen gehen in den Dreharbeiten immer mehr Risiken ein als Männer. Männer hingegen sind feige und engstirnig. Außerdem bin ich seit meiner Kindheit fast ausschließlich von Frauen umgeben. Dabei habe ich den Eindruck gewonnen, daß Frauen eine vielschichtigere Persönlichkeitsstruktur haben. Heute lebe ich mit meinen beiden Töchtern zusammen, die meine schärfsten Kritikerinnen sind. Und meine Tochter Asia, die unter anderem die Hauptrolle in Stendhal Syndrom spielt, hat die extrem schwierige Rolle, mit mir zusammen erarbeitet.

Wie kommt es, daß Sie Deutschland so häufig in Ihren Filmen thematisieren. Mögen Sie dieses Land?

Ja, ich mag Deutschland. Wann immer ich an einer Geschichte schreibe, lande ich irgendwie in Deutschland. Heid-egger, Wagner, aber besonders die deutschen Expressionisten haben mich, seit ich Kunst wahrnehme, beeindruckt. Ich liebe den expressionistischen Film, die düstere Stimmung, die schräge Architektur und habe mich immer daran orientiert. Manchmal glaube ich, daß ich ein bißchen deutsch denke. Meine Filme sind deshalb nicht so italienisch, weil mich die protestantische Moral häufig mehr interessiert als der Katholizismus. Fragen: Claude Jansen

Argento-Filme: „Vier Fliegen auf grauem Samt“, heute, 16 Uhr, Metropolis; „Two Evil Eyes“, Di, 16 Uhr, Streits, „Tenebrae“, Mi, 16 Uhr, Streits