Nichts wurde gut

■ Und plötzlich will sie nie jemand gemocht haben: Nina Ruge, gestern noch Geburtstag, heute zurück aus dem Urlaub

Weinend sei sie auf die Straße gelaufen, weiß die Bild-Zeitung zu berichten. Nina Ruge – weinend. Ecce homo!

Die zu dieser eindringlichen Szene gehörige Geschichte ist selbst von Bild schnell erzählt: „Dreh auf Mallorca. ZDF-Chefredakteur Klaus Bresser ruft Nina Ruge an. Wortwechsel. Nina Ruge läuft weinend auf die Straße.“ Nur die Bunte weiß noch mehr: „Auf der Baleareninsel, wo die schöne ZDF-Moderatorin ihre 135. „Leute heute“-Sendung produzierte, bekam sie die rote Karte. Samt Platzverweis.“ Das ZDF hingegen weiß von alldem nichts; die schöne ZDF-Moderatorin genieße ihren wohlverdienten Toskana-Urlaub.

Doch wen interessiert schon, was wirklich war auf der Baleareninsel? Selbst der Verweis aufs „Sommerloch“ gibt schließlich keine Antwort auf die Frage: Wieso Nina Ruge? Wie konnte es so weit kommen, daß diese – für die in Nina-Verehrer und Nina-Hasser gespaltene Nation gleichermaßen ultimative – Ecce-homo-Phantasie überhaupt kolportiert wurde?

Da hatte es die gelernte Studienrätin tatsächlich vom Tageslichtprojektor eines Wolfsburger Gymnasiums ins Mainzer Rampenlicht geschafft, hatte fünf Jahre lang brav die „heute-journal“-Nachrichten verlesen, und im Oktober 1994 sogar das neuformatierte „heute Nacht“-Journal anvertraut bekommen. Gegen Mitternacht war allerdings weniger die nüchterne Nachricht gefragt als deren attraktive Präsentation. Schließlich wollte die „,heute‘-Sendung mit Lidschatten“ (ZDF) die müde Nation rundum infotained ins Bettchen schicken: „Träumen Sie gut.“

Eingebunden in ein semiseriöses Ambiente wußte Superweib Nina der Fernsehnation mit ihrer verheißungsvollen Aseptik und ihren wechselwarmen „Ja gut, aber...“-Interviews zu später Stunde noch was zu bieten. Doch nach gut 500 „heute Nächten“ fand Ruges Taffheit und Exklusivität eine neue Bestimmung. Für „Leute heute“ stand sie denn auch schon als Star, als „Popstar“ (Spiegel) gar, im Backsteinstudio, um mit desinteressierter Willkür mal opportunistisch, mal schadenfroh „Entertainment, Lifestyle, Societey“ zu präsentieren. „Alles wird gut“, hieß es nun am Ende jeder Sendung, aber es wurde alles nur viel schlimmer. Denn derweil die Bunte Frau Ninas Selbstbewußtseinsdoping als neues Ideal entdeckte, tat sich der Spiegel ziemlich schwer mit „unserer Betroffenen vom Spätdienst“, der „Nachrichten-Nachtschwester“, dem „erotischen Alibi des öffentlich-rechtlichen Fernsehens“, und verstieg sich genüßlich in verquaster Häme.

Nina Ruge ist und bleibt die Inkarnation der ZDF-Nachricht, so wie Julia Biedermann einst die inkarnierte ZDF-Serie war. Doch jede neue Sendung forderte ein Mehr an Persönlichkeit von ihr und förderte bedauerlicheweise auch mehr davon zutage. Da wundert es nicht, daß es gerade ihre extratelevisionären Aktivitäten waren, die ihr unterkühltes Ansehen aufweichen sollten: Muß eine ZDF-Moderatorin denn wirklich in Mobil, dem Magazin der Deutschen Bahn, dem deutschen Bahnreisenden ausgerechnet Goethes „Faust“ empfehlen? Muß sie denn wirklich für den Großen Brockhaus ausgerechnet mit einem geradezu faustischen Sinnspruch („Wer weiß schon auf alles eine Antwort?“) kokettieren? Und mit der selbstreferentiellen Aufsatzsammlung „Achtung Aufnahme!“ peinliche TV-Promi-Promo verhökern und dazu ein noch peinlicheres Vorwort schreiben?

Nachdem sie im April auch noch für Daimler-Chef Jürgen Schrempp und 30.000 Mark eine Werkseröffnung moderierte, und Schrempp anschließend zum Smalltalk-Interview ins „Leute heute“-Studio geladen hatte, wurde Ninas Verquickung der Welten sogar ZDF-Chefredakteur Klaus Bresser zuviel. Per Interview mit der Nachrichtenagentur dpa ließ er seine Ruge-Rüge im Land verbreiten. Schien doch das von Bresser eingeforderte „Augenzwinkern“ immer weniger dem Zuschauer als dem Gesprächspartner zu gelten; die erwartete „Distanziertheit“ war von der Geziertheit eines Flirt beim Sektempfang nicht mehr deutlich zu unterscheiden und die Boulevardjournalistin längst selbst zum Objekt der Boulevardbegierde geworden. – Wer wollte da nicht weinend auf die Straße laufen?

Ninas Urlaubsvertretung Cherno Jobatey jedenfalls weiß dem formatgewordenen Widerspruch eines „öffentlich-rechtlichen Boulevardmagazins“ mit sanfter Ironie zu begegnen: „Ich bin derjenige, der im Wettbewerb ,Wer sieht Nina Ruge am ähnlichsten‘ gewonnen hat“, witzelte er gleich zu Beginn seiner ersten „Leute heute“-Anmoderation.

Doch nichts und niemand sieht Nina Ruge ähnlicher als sie selbst. Und deshalb wird sich das Original heute gegen 18.59 Uhr wieder Mut zusprechen: „Alles wird gut.“ Christoph Schultheis