■ Die Linke und Europa (6): Vergeßt die Nation, setzt auf den Euro und hofft auf die List der Geschichte!
: Der Euro ist ein linkes Projekt

Preisfragen zu stellen hat eine lange Tradition. Vor ein paar Jahrhunderten begehrten noch die ehrwürdigen Akademien Auskunft. Die Frage der Akademie von Dijon: „Welches ist der Ursprung der Ungleichheit zwischen den Menschen, und ist diese Ungleichheit durch Naturgesetz gerechtfertigt?“ hatte Jean-Jacques Rousseau auf seine unnachahmliche Weise beantwortet (der Mensch, von Natur aus gut, werde durch die Gesellschaft zivilisiert und bestialisiert zugleich), und die berühmte Frage: „Was ist Aufklärung?“ provozierte erst Immanuel Kant zu seiner ebenso berühmten Formel: „Ausgang aus selbstverschuldeter Unmündigkeit“. Jetzt fragt die taz. Hinter dem Thema „Die Linke und Europa“ lauert die entscheidende Frage, ob der europäische Einigungsprozeß, dessen Motor die Wirtschafts- und Währungsunion ist, Königsweg oder Sackgasse sei. Kurz gefragt: Ist der Euro ein linkes Projekt?

Als erster antwortet Micha Brumlik auf weitreichendste und gewichtigste Art und entschieden negativ. Aus dem Sachverhalt, daß die „politische Form des Nationalstaates die einzig bekanntgewordene Formation“ sei, in der demokratische Rechte und soziale Sicherheit gehegt worden waren, zieht er den schnellen Schluß, daß das auch fürderhin so zu sein habe: mit Nationalstaat und Demokratie gegen supranationales Marktdiktat.

Darob könnte man bitter höhnen (Motto: „Nationalist Brumlik“), doch dies wäre billig. Denn als geschichtlicher Tatbestand ist Brumliks „Entdeckung“ zwar nicht originell, dafür aber schlüssig. Die Frage wäre bloß, und dies ist das Manko, die Leerstelle des Brumlikschen Argumentationsmodus: Gilt diese Bestandsaufnahme heute noch? Wird nicht die Garantie demokratische Zustände – im emphatischen Sinne – im und durch den Nationalstaat immer prekärer in dem Moment, wo globalisierte Märkte ihm die ökonomischen Regulierungsmechanismen und damit auch die Möglichkeiten zu sozialer Intervention aus der Hand schlagen? Brumlik (und nicht nur er) scheint ein intellektuelles und umgekehrtes Hase-und- Igel-Spiel zu geben: Nach langem Weg beim Nationalstaat angelangt – ist dieser plötzlich weg.

Demokratische Prozesse sind in Institutionen – buchstäblich – aufgehoben, diese wiederum im Nationalstaat verortet, und deren erhabenste ist das jeweilige nationale Parlament. Aber was bleibt vom demokratischen Prozeß, wenn sich immer mehr Entscheidungen schon aus Gründen der ökonomischen Faktizität und nicht nur der Kompetenzdelegierung an Brüssel wegen der Gestaltungsmacht der Parlamente entziehen? Dies ist die Gretchenfrage.

So betont Brumlik die falsche Hälfte des zusammengesetzten Substantivs National-Staat. Die Bedingung für Demokratie ist nicht die Nation, sondern Staatlichkeit.

Die Frage: Ist der Euro ein linkes Projekt, klärt sich, wenn man andersherum formuliert: Ist denn, umgekehrt, die Verteidigung nationaler Währungen ein linkes Projekt? Kaum. Man kann sogar mit einiger Berechtigung sagen: Die Aufrechterhaltung nationaler, frei flottierender Währungen ist ein neoliberales Projekt. Es ist in die Struktur der Weltfinanzmärkte eingeschrieben, daß sie Währungen, die einen relativ kleinen Markt organisieren, in Bedrängnis bringen. Hierzu bedarf es gar nicht erst der vielgeschmähten „Spekulanten“, die innere Logik führt dann dazu, daß die Märkte diktieren und die nationale Politik zunehmend hilflos ist und ihr nichts weiter übrigbleibt, als sich den Geboten der monetären Vernunft entsprechend zu verhalten. Bei Währungsschwankungen, dem Flottieren starker und schwacher Währungen, steht auch für das Produktivkapital viel auf dem Spiel, wenn andauernd in die eine und andere Richtung verrechnet werden muß, vor allem aber für Staaten, die sich am internationalen Kapitalmarkt Geld leihen wollen, um ihre Ausgaben – dazu zählen ja immerhin Aufwendungen für Soziales – bestreiten zu können. Reduziert sich diese Angelegenheit jedoch auf zwei Leitwährungen, Dollar und Euro, wird nicht nur die Position der europäischen Industrie gestärkt (kein genuin linkes Ziel), sondern die Logik des Spiels als solches transformiert. „Stärke“ und „Schwäche“ wären plötzlich keine Kategorien in Währungssachen mehr.

Die solcherart gezügelte Macht der dezentrierten Märkte auf die Wirtschaft machte Wirtschaftspolitik im strengen Sinne wieder möglich. Dies wäre zwar keine Versicherung für Re-Regulierung, also für einen Keynesianismus neuer, nämlich europäischer Art, doch dessen notwendige Voraussetzung. Zwar bedeutete ein solcher Keynesianismus nicht die Emanzipation der Bedrängten und Beladenen, aber ein Mittel zur Verbesserung ihrer sozialen Lage wäre er doch, und – dies ein Hinweis für die Theoretiker – ein Schritt zur Reformulierung des Politischen vis- à-vis dem gegenwärtigen Diktat des Ökonomischen.

Nun hat freilich ein solcher Argumentationsmodus seinerseits seine Dilemmata. Grundsätzlich vertraut er darauf, daß der Neoliberalismus mit ökonomischen Mitteln ausgetrieben wird. Der europäische Einigungsprozeß und die Währungsunion im speziellen sind vertrackte Dinge. Sie sind im hohen Maße politische Angelegenheiten, da sie ja keineswegs aus der ökonomischen Selbstbewegung notwendig folgen, sondern in einem Akt regelrechten politischen Voluntarismus beschlossen wurden. Andererseits markiert dieser politische Beschluß eine Art von Desertion der Politik, da er den europäischen Einigungsprozeß auf das Feld der Ökonomie und staatsfern organisierter Währungspolitik verweist. Dagegen bleibt die politische Einigung weit hinter der ökonomischen Einigungsdynamik zurück. Die linken Freunde des Euro, dies muß ehrlichermaßen eingeräumt werden, gründen ihre Haltung auf eine Hoffnung, die wie jede Hoffnung schwach fundiert ist, für deren Erfüllung es jedenfalls keine Versicherung gibt. Sie setzen, wenn man so will, auf eine List der Geschichte, daß nämlich die Währungsunion und der Euro einen politischen Integrationszwang ausüben, welcher schließlich zur Etablierung einer europäischen Staatlichkeit führen würde.

Wenn der Nationalstaat dieser Raum der Politik nicht mehr sein kann; wenn ein solcher allenfalls in Europa wiedereröffnet, der Euro hierfür zum Motor, zum Impuls werden könnte, es für beides aber keine Versicherung gibt – was folgt aus all dem? Wohl zwingend ein Plädoyer für den Euro, ein skeptisches zwar, doch, leider, leider, tertium non datur. Robert Misik