In Schottland sieht Labour alt aus

Ausgerechnet wenige Wochen vor dem Referendum um ein eigenes schottisches Parlament verbringt die dortige Labour Party ihre Zeit damit, handfeste interne Skandale zu produzieren  ■ Von Ralf Sotscheck

Dublin (taz) – Zuerst war es nur der linke Parteiflügel, doch nun gilt der Begriff für alle, die dem Ansehen der britischen Labour Party Schaden zufügen: Sie seien Neandertaler, Ewiggestrige – „Old Labour“ eben.

In der schottischen Parteiorganisation wimmelt es von ihnen geradezu. Erst vorige Woche hat man Tommy Graham, den Abgeordneten für Renfrewshire, aus der Fraktion geworfen. Ihm wird vorgeworfen, eine Diffamierungskampagne gegen drei andere schottische Labour-Abgeordnete geführt zu haben. Einer von ihnen, Gordon McMaster, hat sich Ende Juli das Leben genommen. Graham hatte ihm nachgesagt, er sei schwul und HIV-positiv, doch der Grund für den Selbstmord waren Depressionen wegen einer Herbizid-Vergiftung, die sich der 37jährige bei seiner Arbeit als Gärtner zugezogen hatte. Hinzu kamen Alkohol- Probleme. In seinem Abschiedsbrief beschuldigte er Graham der üblen Nachrede, doch der rechtfertigte sich: „Der Typ war doch krank, oder? Er war krank vom Suff.“ Mit Politik hat das alles wenig zu tun.

In der Labour-Partei von Paisley, das zu Renfrewshire gehört, gärt es schon seit letztem Jahr. Damals wurde der Ortsverband suspendiert, weil den Mitgliedern enge Verbindungen zum Drogenhandel und die Unterschlagung von Parteibeiträgen vorgeworfen worden waren. McMaster und seine Kollegin Irene Adams, die ebenfalls zu Grahams Diffamierungs-Opfern gehören soll, hatten eine Untersuchung gegen eine Wach- und Schließgesellschaft in Paisley wegen Verdachts auf Drogenhandel gefordert. In der Chefetage der Firma, die inzwischen Konkurs angemeldet hat, saßen zwei lokale Labour-Leute. Adams wurde mit Mord gedroht, falls sie ihre Untersuchungen nicht unverzüglich einstellte.

Die Financial Times vermutet hinter der Graham-Affäre allerdings einen Konflikt zwischen „Old Labour“ und „New Labour“, zwischen Nationalisten, die Schottlands Unabhängigkeit wollen, und Unionisten, die für die Beibehaltung der Verbindungen mit England eintreten. Die Angelegenheit ist besonders brisant, weil die Schotten in der nächsten Woche per Referendum über ein eigenes Parlament – das erste seit 300 Jahren – entscheiden müssen. Der Volksentscheid soll außerdem festlegen, ob dieses Parlament zusätzliche Steuern erheben darf. Alle Parteien sind sich einig, daß das Referendum – egal mit welchem Ausgang – nur dann Legimität genießt, wenn sich mindestens 60 Prozent der Bürger daran beteiligen. 1979, beim letzten Versuch, beteiligten sich nicht einmal 40 Prozent.

Vor sechs Tagen hat Labour die Kampagne für ein Ja zu beiden Fragen eröffnet. Man demonstrierte Einigkeit: Schottland-Minister Donald Dewar hatte Alex Salmond von der Schottischen Nationalen Partei (SNP) und Menzies Campbell von den Liberalen Demokraten bei der Pressekonferenz auf die Bühne gebeten. Man gab sich siegessicher, denn die Tories, die für ein Nein im Referendum werben, hatten sämtliche ihrer schottischen Abgeordneten bei den Wahlen am 1. Mai verloren. Prominente Unterstützung gibt es auch: Mel Gibson, Darsteller des schottischen Helden Braveheart, unterstützt die Labour Party bei der Kampagne, „007“ Sean Connery wird von der SNP ins Rennen geschickt.

Doch die Veranstaltung, die so harmonisch begann, endete im Fiasko. Je lauter die Journalisten nach der Graham-Suspendierung fragten, desto mehr verfinsterte sich Dewars Laune. Am Ende brüllte er die Zeitungsleute an und tat den Skandal in Paisley als „Mediengeschwätz“ ab.

Die SNP ist seitdem wütend auf Labour. „Weil sie mit ihren eigenen Problemen nicht fertig werden“, sagte ein SNP-Sprecher, „haben sie uns den schlechtestmöglichen Auftakt für die seit Jahren wichtigste Kampagne in Schottland beschert.“

Besonders erbost ist man darüber, daß die Graham-Affäre keineswegs ein Einzelfall aus heiterem Himmel ist. Im Frühjahr wurden sechs Labour-Stadträte in Glasgow suspendiert, weil sie sich Wählerstimmen gekauft haben sollen. Aus dem gleichen Grund wurde der erste moslemische Unterhaus-Abgeordnete, der Multimillionär Mohammad Sarwar aus Glasgow-Govan, aus der Fraktion entfernt. In keinem dieser Fälle ist bisher freilich etwas bewiesen, es sind lediglich eine Reihe von Untersuchungen eingeleitet.

Arnold Kemp, der frühere Chefredakteur des schottischen Herald, glaubt dagegen, daß die Skandale um Tommy Graham und die schottische Labour Party die Argumente für ein Parlament in Edinburgh eher stärken. „Labours verrottete Bezirksverwaltungen nördlich der Grenze blühten unter der Direktregierung aus London“, stellte er fest. „Viele schottische Wähler glaubten, daß die Labour- Verwaltungen die schlimmsten Auswüchse des Thatcherismus verhinderten. Ein schottisches Parlament könnte diesen Verwaltungen ständig und vor allem viel genauer auf die Finger schauen.“