"Sie sind ja wundgerieben, alle"

■ SPD-Chef Oskar Lafontaine hatte gestern in Bonn nur eine einzige Botschaft zu verkünden: Daß er sich so offenherzig wie riesig freut über den personalpolitischen Wirbel innerhalb des Regierungsbündnisses

Bonn (AFP) – Oskar Lafontaine wirkte wahrlich nicht schlechtgelaunt, als er gestern die politische Bilanz aus Sicht seiner Partei zu schildern hatte: „Wir hatten einen schönen Sommer, uns geht es gut.“ Daß Kanzler Kohl und seine Minister es ihm und seiner Partei so leicht machen würden, hatte der SPD-Chef selbst nicht erwartet: Seitdem Theo Waigel hartnäckig neue Köpfe im Kabinett fordert und laut über seinen Rückzug als Finanzminister nachdenkt, beschäftigt sich die Regierung vorrangig mit sich selbst und läßt die SPD in Ruhe.

Der saarländische Ministerpräsident nutzte dankbar die Gelegenheit, um auf die Disziplin im eigenen Lager hinzuweisen. „Wir haben keinen Grund zum Klagen“, sagte Lafontaine, dem es nach jahrelangem parteiinternen Zwist gelungen zu sein scheint, seine Partei als unzerstritten zu präsentieren. Ein gutes Jahr vor den Wahlen liegt die SPD in den Meinungsumfragen klar vorn. „Wenn das so bleibt, wird es spätestens zum Jahresende die Diskussion geben, ob die Koalition den richtigen Kanzlerkandidaten hat“, prognostizierte Lafontaine.

Bei der Debatte um die Kabinettsumbildung gehe es nicht um einzelne Minister, „sondern um Helmut Kohl und seine Politik“. Genüßlich beschrieb der SPD- Chef den inneren Zustand der Bundesregierung: Es sei etwas „Hühnerhofhaftiges“, was derzeit in der Koalition vor sich gehe. Auch ein Bild aus seiner saarländischen Heimat muß herhalten: „Zustände wie bei Jäbs“ herrschten derzeit im Hause Kohl, es gehe drunter und drüber.

Die SPD scheint in diesen Tagen Zeit im Überfluß zu haben. „Wir sehen das ganz gelassen“, betonte Lafontaine wieder und wieder. Die Forderung nach vorgezogenen Neuwahlen ist in den Hintergrund gerückt, auch eine Serie vom Mißtrauensanträgen gegen die Regierung ist nach Auskunft Lafontaines nicht zu erwarten. Er gehe davon aus, daß sich die Regierung Kohl „noch durchwurschtelt bis zur Wahl“. Derweil hoffen die Sozialdemokraten auf die zentrifugale Kraft der Bonner Dreierkoalition. CDU, CSU und FDP seien „drei auseinanderstrebende Kräfte“. Und: „Sie sind ja wundgerieben, alle.“

Den Vorwurf, sich in der derzeitigen Situation aus der Verantwortung zu stehlen, wies Lafontaine weit von sich – mit einem weiteren Verweis auf die Pöstchendiskussion im Kabinett und Gerüchte über eine Ablösung von Innenminister Manfred Kanther. So bestehe beim Thema Innere Sicherheit die Schwierigkeit, „daß wir nicht wissen, ob der mit uns verhandelnde Minister noch Minister sein wird“. Claudia Haas