Kein Gefühl des Sieges

■ Christian Führer, Pfarrer der Leipziger Nikolaikirche, lobt die Urteile

taz: Ist das Urteil angemessen?

Christian Führer: Ja, Krenz hat ja schon vor dem Urteil gesagt, er gehe erhobenen Hauptes aus dem Gerichtssaal. Das ist bezeichnend: keine Reue, keine Einsicht, kein Nachdenken. Er hat nie bestritten, die Mauer mitgetragen zu haben. Es ist infam, sich hinter sowjetischen Weisungen zu verstecken. Nach den Mauerschützen geht man jetzt auch an die Größen heran. Krenz kann froh sein, daß er nicht auf sozialistische Weise in einem chancenlosen Verfahren abgeurteilt wurde, wie etwa Wehrdienstverweigerer und Republikflüchtlinge zu DDR-Zeiten.

Kann DDR-Unrecht nach bundesdeutschen Maßstäben beurteilt werden?

Ja. Sonst hieße es: Je näher ein Täter an der Staatsdoktrin ist, desto weniger ist er schuldhaft. Auch für SED-Unrecht im Sinne von Staatsunrecht muß man sich persönlich verantworten. Wenn Krenz von Siegerjustiz spricht, grenzt das an Blasphemie, angesichts der Rechtsprechung der DDR. Menschenrecht geht vor Staatsrecht und Diktaturrecht. Krenz hat am 4. Juni 1989 das Massaker seiner chinesischen Genossen auf dem Platz des himmlischen Friedens gelobt. Auch wir hier in Leipzig hatten Angst vor einer chinesischen Lösung.

Empfinden Sie Genugtuung?

Genugtuung ist mir zu billig. Für die Opfer ist das ein Stück Gerechtigkeit, das der seelischen Aufarbeitung der Vergangenheit dient. Genugtuung vielleicht für die Menschen, die unter der DDR und dem ewigen Lächeln von Egon Krenz gelitten haben. Ein Lächeln angesichts der Haftbedingungen in Bautzen.

Ist das Urteil die logische Konsequenz der friedlichen Revolution?

Bisher hatten wir immer das Gefühl, das Recht diene nur denen, die genügend Geld für teure Anwälte und lange Prozesse haben. Das heutige Urteil hingegen ist ein Beweis gelebter Demokratie, die wir vierzig Jahre nicht erfahren haben.

Wie soll die Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit weitergehen?

Jedes Gefühl von Sieg muß unterbleiben. Gerechtigkeit ist ein hartes Stück Arbeit, bei dem man den Schweiß und die Kraftanstrengung sehen muß. Triumph ist unangemessen. Interview: Robin Alexander