Rheumakranke und Eßsüchtige verlassen ihren Dachverband

■ Der Bremer Gesundheitsladen e.V. entläßt seine verdienstvollsten Mitarbeiter / Gruppen gründen sich neu

Clemens Müller. Der Mann könnte einem die ganze Bremer Selbsthilfe-story runterrasseln: 1980, 1986, '87, '88, bald zwanzig Jahre Bremer Gesundheitspolitik von unten. Eine Erfolgsgeschichte hätte Clemens Müller vor einem Jahr gesagt. Heute ist er arbeitslos. Von den ersten Jahren des Bremer „Gesundheitsladens“würde er erzählen: Immerhin ist er sein erster Festangestellter gewesen. Und von Leuten erzählen, die sich da organisierten: Alkoholiker, verwaiste Eltern, Eßsüchtige, Rheumakranke usw. Erzählen, wie 1986 der „Bremer Topf“gegründet wurde, der bundesweit Modell für basisdemokratische Netzwerkarbeit war. Seit 1988 mit Mitteln aus dem Bremer Haushalt von heute zwei Millionen Mark – 175.000 kriegt davon der Gesundheitsladen.

Und dann könnte Clemens Müller noch erzählen, wie die Geschichte der zahlreichen Sozialarbeiter, Psychologen da mit reinspielt. Die heißen beispielsweise Clemens Müller – oder Christa Niemeyer, Jobst Pagel und arbeiten im „Gesundheitsladen Bremen e.V.“, jeder mit einer halben Stelle als Berater für Selbsthilfe ... Falsch. Clemens Müller arbeitet da nicht mehr. Der hatte seit 1983 mit an seinem Aufbau gearbeitet und gründete dann 1989 die erste deutsche „PatientInnenberatung“. Sein „kleines Patientenrechte ABC“ist heute in der siebten Auflage – er selber ist seit dem 30. Juni fristlos gekündigt und hat Hausverbot. Der Vorwurf: Fälschung eines Arbeitsvertrages. Ach ja; Christa Niemeyer arbeitet auch schon fast nicht mehr im Gesundheitsladen. Die schrieb in den vergangenen Monaten an einem „Wegweiser“durch den Bremer Selbsthilfe-Dschungel und ist zum kommenden Montag gekündigt. Das Projekt sei nun beendet, heißt es von seiten des Vorstands. Jobst Pagel, immerhin, der arbeitet noch seine 20 Stunden im Gesundheitsladen, in der Braunschweiger Straße. Wahrscheinlich sitzt er grade an der Beratung einer neuen Selbsthilfegruppe: Übergewichtige, die sich organisieren wollen; Altenpflegerinnen, die für eine Supervision Geld brauchen. Wie lange Pagel das noch macht, steht in den Sternen. Der Vorstand des „Gesundheitsladen Bremen e.V.“hat ihn auf dem Kieker. Im Juli wurde er wegen vereinsschädigenden Verhaltens abgemahnt. Und außerdem laufen gegen alle drei (ehemaligen) Mitarbeiter des Gesundheitsladens noch polizeiliche Ermittlungen: Wegen Urkundenfälschung.

Und der Gesundheitsladen e.V.? Der hat immerhin noch einen Vorstandsvorsitzenden namens Rainer Paul, welcher drei seiner vier Mitarbeiter entließ oder abmahnte (die vierte ist seine Frau) und seitdem in Frankreich weilt. Und der hat in einer Woche keine Klientel mehr, weil die Selbsthilfegruppen im Bremer Topf sich am 4. September wohl einen neuen Träger suchen werden. Die Zuschüsse für die Beratungsarbeit werden mitwandern, wurde den Selbsthilfegruppen von der Behörde zugesichert.

Der „Gesundheitsladen Bremen e.V.“existiert dann nur noch als ein Name. Mit Vorstand. Denn auch das zweite Standbein des Gesundheitsladens, in dem Edeltraut Paul-Bauer die PatientInnenberatung betreut, wird es in dieser Form ab Oktober nicht mehr geben. Die Sozialsenatorin hat sich entschieden, ihren Zuschuß umzuwidmen und ihn einer neuen Patientenberatung zu überweisung; diese, so hofft sie, habe „mehr Akzeptanz“.

Und Jobst Pagel, Christa Niemeyer, Clemens Müller? Erstmal klagen letztere nun gegen die Kündigung. Aber vielleicht braucht der Bremer Topf ja noch Kollegen für den neuen Verein. ritz