„Der Vulkan jedoch wächst und wächst“

■ Hans-Ulrich Schmincke ist Vulkanologe am Geomar-Forschungszentrum in Kiel

taz: Wann haben die Vulkanologen eigentlich erstmals registriert, daß der Soufrière auf Montserrat wieder aktiv wird?

Hans-Ulrich Schmincke: Der Vulkan spuckt schon seit zwei Jahren Steine, Asche und Glut aus. Im Prinzip ist er seitdem hochgefährlich. Wenn die Medien jetzt berichten, daß der Vulkan seit Juni wieder aktiv ist, dann ist das Quatsch. Als ich im Mai da war, sind jeden Tag viele kleine Glutlawinen abgegangen. Im Juni hat sich das dann verstärkt.

Sind die Wissenschaftler denn in der Lage vorauszusagen, zu welchem Zeitpunkt es zu einem Vulkanausbruch kommen wird?

Im Gegensatz zu Erdbeben, die man mit Hilfe von statistischen Erhebungen nur äußerst unpräzise vorhersagen kann, sind wir bei Vulkanen zum Glück zu konkreteren Prognosen in der Lage. Für Erdbeben umfaßt die Zeitspanne oft mehr als ein Jahrzehnt, für Vulkane nur einige Monate. Das war zum Beipiel beim St. Helens in den USA so: Die große Eruption war am 18. Mai 1980. Ende März, also eineinhalb Monate früher, war es zu einem starken Gasausstoß gekommen. Auch der Pinatubo auf den Philippinen, der im Juni 1991 ausbrach, machte sich schon im März bemerkbar.

Kann man denn vorhersehen, wann es auf Montserrat zum großen Ausbruch kommen wird?

Nein. Das ist sehr schwer. Es ist durchaus möglich, daß der Soufrière noch viel stärker eruptieren wird als bisher. Aber die Frage, ob die Insel ganz verschwindet, das ist eine Sommerloch-Spekulation der Sensationspresse. Der Nordteil ist ziemlich stabil, das sind Vulkanablagerungen, die ein paar Millionen Jahre alt sind. Der Vulkan im Süden wächst und wächst, und dann brechen von der Spitze immer wieder Teile ab. Daraus entstehen die Glutlawinen, die ja auch die Inselhauptstadt Plymouth zerstört haben. Da die Spitze des Doms immer höher wird, können schließlich auch Gebiete mit Glutlawinen überschüttet werden, die vorher durch Berge geschützt waren.

Laut UNO leben insgesamt 600 Millionen Menschen in der Nähe eines Vulkans. Wenn man das Beispiel Montserrat nimmt, müßte man all diese Leute dann nicht schleunigst umsiedeln?

Wenn man sich mit solchen Vorsorgeplänen an die Planungsbehörden wendet, dann muß man die Struktur und die Entwicklung des Vulkans genau kennen: Wie oft er eruptiert, wie alt er ist und so weiter. Zudem muß man die Überwachung organisieren. Dann können die Behörden langfristig Gebiete ausweisen, wo keine Menschen wohnen dürfen, wo Plantagen angelegt werden sollten. Und dort, wo es viel Aschefälle gibt, müssen die Dächer stabil konstruiert werden. Man kann die 600 Millionen Menschen ja nicht einfach umsiedeln. In Europa ist das größte Problem Neapel und der Vesuv. Dort werden wenig Schutzmaßnahmen getroffen, die Hänge des Berges werden immer weiter besiedelt. Das müßte natürlich verhindert werden. Interview: Wolfgang Löhr