Kein Bammel vorm Satan

■ Fürchtet euch nicht: eine Dokumentation mit Bekehrungs-Potential

Jeder Widerstand gegen die nationalsozialistische Tyrannei liegt, wie das System selbst, jenseits aller Vergleichbarkeit. Abschätzen und Haltungsnoten verteilen – die Verhöhnung der Opfer wäre jedesmal darin beschlossen. Fürchtet euch nicht – im Gegensatz dazu verspricht der biblische Titel, den Stefanie Krug und Fritz Poppenberg ihrem Dokumentarfilm über „Verfolgung und Widerstand der Zeugen Jehovas unter dem Nazi-Regime“gegeben haben, die Opfer zu retten und zu bewahren.

Der aus Interviews, Fotos und begleitendem Kameralauf montierte Film macht keinen Hehl aus seiner Bewunderung für die „Glaubensgeschwister“im Namen Jehovas: „Denn sie lassen sich nicht einschüchtern und fahren fort, Gott mehr zu gehorchen als den Menschen“. Jede inhaltliche Auseinandersetzung mit den Zeugen Jehovas fehlt.

Mehr noch, indem er ausschließlich deren eigene Glaubensgrundsätze betrachtet (Hitler ist die Inkarnation Satans und das Hakenkreuz ein falscher Götze) und den mutigen Widerstand als Dokumentation eines ultrareligiösen Weltbildes bestätigt, gerät die Perspektive gefährlich ins propagandistische Schwanken. Was zur schlimmen Folge hat, daß die furchtbaren Leidengeschichten aus den Konzentrationslagern jetzt vor allem den Beweis in Sachen Gottevertrauen antreten. „Wer so sehr gerade ging, da wußten wir, das ist unser Bruder.“

Immer wieder weist der Film, der im März seine Uraufführung im Holocaust Memorial Museum in Washington erlebt hat, den Zeugen Jehovas eine Sonderstellung unter den Opfern zu. Bis hin zu dem skandalösen Punkt, an dem jenes „Fürchtet euch nicht!“seinen Bekehrungsauftrag offenbart. So erzählt Max Liebster, wie einer der „Bibelforscher“, ihm, einem Juden, jede seiner verzweifelten Fragen an Gott beantwortet hat, und wie „die jüdischen Leute Jesus verstoßen und umbringen ließen“. Der unglaubliche Kommentar des Films: „Kurz nach der Befreiung von Buchenwald läßt Max Liebster sich taufen. Er wurde Zeuge Jehova“– Max Liebster geht lächelnd aus dem Bild. Der Zuschauer aber muß, während die Kamera gegen ein Erlöserabendlicht die Baracken von Auschwitz abfährt, zum Schluß ein Lied hören – „Hab Dank Jehova“, gesungen vom Chor der Zeugen Jehova, Pörtschach, Österreich.

Elisabeth Wagner

Metropolis