■ Nachschlag
: Unplugged: Genesis riefen vom Fernsehturm aus alle Stationen

Dieser Event ist plateauschuhfreie Zone. Wenn Genesis Europas Journalistenpack ihre neue Platte vorstellen, ist das ungefähr so hip wie das Wort „Urgesteine des Rock“. Wer will, macht erst mal eine Kaffeefahrt im Bötchen, mit dem „Virgin Records staff“ und vielen peppigen Berichterstattern, die Turnschuhe tragen. Alle anderen kommen erst zur zweiten Location, zum Funkturm am Alex. „Why did you choose Berlin?“ wird später der junge Herr von der Westfalian Sunday Newspaper fragen, und Tony Banks wird antworten: „Bei unserem neuen Album ,Calling all stations‘ geht es doch irgendwie um communication, deswegen the Funkturm.“

Doch vor diesem Dialog liegen noch einige denkwürdige erste Male. Zum Beispiel das erste Interview von Alan Bangs mit Genesis. Niemals wollte er mit ihnen reden, solange Phil Collins noch mitspielte. Jetzt lächelt er in die Kamera, bewegt locker die Musikexperten-Zehen in den Gesundheitssandalen, begrüßt das Fernsehpublikum all around the world und fletscht ganz kurz die Zähne, bevor er erzählt, daß Genesis in den letzten 30 Jahren so viele Platten verkauft haben, wie es Japaner gibt. Dabei sind gar keine Japaner da.

Anwesend ist dafür – ein weiteres erstes Mal – der neue Sänger. Ray Wilson hatte mal einen Jeansreklame-Hit mit der Band Stiltskin, ist Schotte, trägt seinen rockigen Labber-Stufenschnitt mit Würde und sieht aus, als käme er aus Herne. Das verbindet ihn auf den ersten Blick mit seinen neuen Arbeitgebern Mike „Long face“ Rutherford und Tony „Fönfrisur“ Banks. Die greifen jetzt zu Gitarre und Keyboard, romanteln akustisch vor sich hin und sind unplugged: zum allerersten Mal. Und als Mr. Wilson anfängt zu singen, klingt er wie Phil Collins, der wie Peter Gabriel klang, und alle stoßen sich erleichtert an: Es ist wie früher.

Dann darf der „Neue“ noch erzählen, daß er nicht tanzen kann („I can't dance“, har har), daß er sieben Songs vorsingen mußte beim Einstellungsgespräch (über sieben Brücken gehn, you know) und daß er sich dann so richtig die Kante gegeben hat (wie ein echter Schotte halt oder wie ein Herner). Der israelische Drummer, der die ganze Zeit schon im Hintergrund rumstand, muß dann zugeben, daß er zwar im Studio und bei der Tour dabei ist, aber nicht so richtig zur Band gehört, und das hat man ja sofort gesehen, schließlich ist er der einzige mit Ohrringen und hat gleich am Anfang sein Schüttel-Ei ganz peinlich runterfallen lassen.

Zum Schluß lassen sich alle von unheimlich ostigen Fahrstuhlführern mit grauer Ted-Frisur ins Restaurant befördern und tun, was man tun muß: essen, trinken, Turnschuhe tragen. Elke Buhr