„Die Massen jubeln mir zu“

Zur besten Sendezeit durch die Lücke in alle Herzen: Am Ende eines harten Jahres findet sich die bisweilen moralisch verdammte 400m-Läuferin Grit Breuer als Darling der deutschen Öffentlichkeit wieder  ■ Von Peter Unfried

Berlin (taz) – Ehrlich, es war ganz genau so, wie sie selbst es beschrieben hat. „Die Massen“, so beschrieb das Grit Breuer schlicht, „haben mir zugejubelt.“ Kein bißchen übertrieben. Und mehr noch: Der Beifall der 50.000 Leut' im Berliner Olympiastadion war nicht nur kräftig – er war auch richtig warm. Breuer (25) fand sich in einer warmen Spätsommerdienstagnacht in einer ganz neuen Rezeptionsphase ihres beruflichen Schaffens wieder: Sie ist nicht mehr die böse rote Hexe der 400-Meter-Bahn – sie ist die breitschultrige, aber doch auch liebreizende Prinzessin der deutschen Leichtathletik.

Was wieder einmal beweist, was der Sport immer gern beweist: Man muß dran bleiben, nicht locker lassen, Probleme verdrängen, Stehvermögen haben für die Zielgerade – und Glück. Jenes Glück, „das innen frei wurde“ (Breuer). Eben noch gedacht: „Oh Gott, was mach' ich jetzt?“ Da tat sich im WM-Finale zu Athen auch schon die Lücke auf. Breuer dampfte entschlossen an drei Gegnerinnen vorbei, weshalb die deutsche 4x400-Meter-Staffel sehr überraschend WM-Gold gewann.

Dies alles wurde an einem schönen Sonntag abend im August zur besseren Sendezeit öffentlich- rechtlich von etwas sechs Millionen Deutschen registriert und miterlebt – wie die Reaktionen zeigen, sehr, sehr wohlwollend. „Ich werde jetzt so oft angesprochen“, sagt Breuer. Von Leuten, die sie nicht kennt natürlich – die die Läuferin plötzlich sehr wohl. „Hast du die Breuer gesehen?“ So sprachen damals Menschen, von denen niemand annehmen durfte, daß sie den Namen Breuer jemals gehört hätten.

Und nu? Der eingefrorene Moment, in dem sie, die Augen geschlossen, über die Ziellinie rauscht, den hehren Stab sicher umklammert, dieses Bild ist auf dem Weg, eine kleinere Version jener Ikone zu werden, die den Läufer Dieter Baumann bei seinem Olympiasieg von Barcelona zum deutschen Helden stilisiert hat.

Noch ist Breuer keine deutsche Heldin – aber womöglich auf gutem Weg. Nicht leichtfüßig sieht es aus, wenn sie ihre Gegnerinnen überholt, wie bei der immer etwas anämisch wirkenden Katrin Krabbe. Breit und mit schwerem Schritt hämmert sie über die Laufbahn, verbissen knautschend, bis zentimeterweise Rückstände aufgeholt sind. Nichts fällt ihr leicht – sie ist nicht perfekt, aber deutsch.

Und dann ist da natürlich dieser gebrochene Lebenslauf. Großgeworden in der DDR, Vizeweltmeisterin in Tokio 1991 war sie, dann drei Jahre gesperrt wegen etwas, das offiziell „Medikamentenmißbrauch“ heißt. Die Stigmatisierung als Doping-Betrügerin hat bei Breuer psychischen Schaden angerichtet. Zur Leistung hat sie immer ja gesagt, mit Fragen der Moral tat sie sich eher schwer. In diese Denkrichtung ist sie auch von ihrer einzigen Bezugsperson kaum gelenkt worden.

Breuer hat immer bloß davon gesprochen, daß andere sie „fertigmachen“ wollten. Das waren die Medien und der Verband, dessen Präsident Helmut Digel zwar die Athletin wieder in die Familie aufnahm, sich aber bis Athen weigerte, den DLV mit dem Trainer Thomas Springstein auch nur in Verbindung zu bringen. Die Outlaw- Jahre haben aber zwei zusammengeschweißt, die nur noch sich hatten. Und wenn Springstein (39) sich seiner Meinung nach hat etwas zuschulden kommen lassen, dann wohl bloß, daß er sich, Krabbe und Breuer erwischen ließ.

Eine Hetzjagd durch das Land glaubt Breuer hinter sich zu haben, immer wieder neu auf der Suche nach Existenzsicherung; einem Verein, ein paar Sponsoren, einem Job für den arbeitslosen Lebenspartner. Sie sei „im Kopf immer noch nicht frei“, hat sie nach ihrem 4. Platz im WM-Einzelrennen gesagt. Daran, sagt sie heute, „hat sich auch durch den Staffelerfolg nichts geändert“. Breuer, sagt die Vizeweltmeisterin Sandie Richardson, sei eine „Staffelfrau“, eine, die sich im Team zu Leistungen aufraffen kann, die ihr körperlicher Zustand eigentlich nicht vorsieht. 48,69 Sekunden lief sie als Schlußläuferin in Athen. Warum? Der Frage, ob sie das Rennen „für Deutschland“ beflügele, weicht Breuer aus. „Befreiter“ laufe sie, „lockerer“, nicht als Grit Breuer, die immer ganz allein die Verantwortung für die autarke Minifirma Springstein/Breuer hat, sondern als Teil einer Gemeinschaft.

Und nun ist die Saison zu Ende, die Firma geht fischen – und alles scheint rosarot. Die Läuferin hat im zweiten Jahr nach ihrer Sperre zuletzt in Monte Carlo sogar noch ihr Saisonziel erreicht, erstmals seit 1991 wieder unter 50 Sekunden zu laufen (49,98 sec). Damit ist sie zwar nur eine von sieben in der Welt. Doch Leichtathletik ist immer mehr Rennen als Werfen, und so kommen auf dem deutschen Markt nicht Riedel und Kumbernuss zuerst. Einziger richtiger Ticketverkäufer ist immer noch der auch in Berlin mächtig umjubelte Läufer Baumann. Dahinter hat sich eine Lücke aufgetan. Die Weitspringerin Susen Tiedtke- Greene, mit einem erfolgversprechenden Label („die schöne Doping-Sünderin“) in die Saison gegangen, ist mangels Leistung nicht reingehüpft.

Nun darf die Firma Springstein/ Breuer hoffen, demnächst ihre Geschäftsbeziehungen kräftig auszubauen. Die Läuferin hat nichts von jener blonden, aber eher entfernten und theoretischen Erotik, die half, Krabbe massenkompatibel zu machen. Breuer ist praktisch und präsent – eine Kumpelin, die als Frau prima gefällt – wenn man sich dazu entschlossen hat.

Als sie beim Berliner Istaf die Nigerianerin Ogunkoya überholt hatte und in 50.32 sec hinter Richardson (49.87 sec) Zweite geworden war, jubelten die Massen mächtig. Die Läuferin hat „eine Gänsehaut gekriegt“. Nichts ist schöner, als wenn man geliebt wird. „Ich habe plötzlich wieder sehr viele Freunde“, sagte sie betont ironisch.

Und wenn alles eines Tages doch schlecht ausgeht? „Da mache mir keine Gedanken mehr drüber.“ Keine Frage: Nichts fürchtet Grit Breuer mehr.