■ Die SPD will dem Großen Lauschangriff zustimmen
: Gefangene des eigenen Populismus

Wer am Stammtisch Platz nimmt, muß auch dessen Spielregeln hinnehmen. Wer dominieren will, muß forsche Sprüche klopfen. Wer zögert und abwägt, wird in die Ecke gestellt. Hat man flotte Sprüche in die Welt gesetzt, gibt es kein Zurück, es sei denn um den Preis der Blamage. Die Wirksamkeit dieses Mechanismus führt zur Zeit die Sozialdemokratie in der Frage des Großen Lauschangriffs vor. Niedersachsens Ministerpräsident Schröder geriert sich als entschlossener Kriminalitätsbekämpfer, in Hamburg läßt die SPD den Labour-Erfolgsspruch „law and order is a labour issue“ plakatieren, und in Bonn werden Bedenken der Sozis über Bord geworfen. Vergessen ist der Wiesbadener Parteitagsbeschluß von 1993, der eine Zustimmung zum Lauschangriff an strikte Ausführungsbestimmungen band und von der Verabschiedung weitreichender gesetzlicher Bestimmungen zur Einziehung illegaler Vermögen abhängig machte.

Heute treffen sich in Bonn erneut die Vertreter der Union, der Liberalen und der SPD, um eine Einigung beim Großen Lauschangriff zu finden. Für die Koalition ist es ein leichtes, die Sozialdemokraten vor sich her zu treiben. Die SPD kann kaum Widerstand leisten, andernfalls stünde sie wieder einmal als Weichei in der Kriminalitätsbekämpfung da. Die SPD, die ihren Parteifreund Gerhard Schröder die subjektive Furcht der Bevölkerung vor Kriminalität populistisch instrumentalisieren läßt, ist Gefangene der Populismen des Ministerpräsidenten geworden.

Noch gibt es Widerstand in der Partei. Vor allem die Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratischer Juristinnen und Juristen klagt die Einhaltung des Wiesbadener Parteitagsbeschlusses ein. Doch die Erfolgsaussichten stehen schlecht für die ASJ. Fraktionschef Rudolf Scharping, der noch im Juni im Beisein von Oskar Lafontaine den restriktiven Parteitagsbeschluß bestätigte, hat zwischenzeitlich eine Kehrtwende hingelegt. Er befürwortet mittlerweile den weit über den Lauschangriff hinausgehenden „Spähangriff“.

Kameras zur Beobachtung privater Räume, das war bisher eine Lieblingsforderung der CSU. Deren Verhandlungsführer, Bayerns Innenminister Beckstein, wird beim heutigen Treff die neue Steilvorlage dankbar aufgreifen. Denn wer den Spähangriff befürwortet, der kann den Lauschangriff nicht ablehnen. Und ist das große Lauschen erst einmal akzeptiert, dann kann man anschließend die SPD mit dem weitergehenden Spähen vor sich her scheuchen. Am Stammtisch herrschen rauhe Sitten. Wolfgang Gast