Rückruf für hundert Millionen Hamburger

Lebensmittel-Skandal in den USA: Fleischklopse sind mit Kolibakterien verseucht  ■ Aus Washington Peter Tautfest

In den USA läuft zur Zeit die größte Rückrufaktion in der Geschichte der US-amerikanischen Nahrungsmittelindustrie. Was im Juni/Juli als vergleichsweise überschaubarer Betriebsunfall begann, weitet sich zu einem Nahrungsmittel-Skandal von der Größenordnung des BSE- Falles in Europa aus.

Nachdem im Frühsommer dieses Jahres siebzehn Menschen im Bundesstaat Colorado nach dem Verzehr von Hamburgern an Nahrungsmittelvergiftung erkrankten, fünf davon schwer, rief die Fleischfirma Hudson Inc. zunächst 20.000 Pfund Hamburgerbuletten aus den Gefriertruhen der Supermärkte zurück. Das Ausmaß der Rückrufaktion weitete sich erst auf 1,2 Millionen und schließlich auf 25 Millionen Pfund Gehacktes aus – 100 Millionen Fleischklopse.

Daß die Quelle der infizierten Nahrungsmittel gefunden und eindeutig identifiziert werden konnte, liegt an fortgeschrittenen DNA- Testverfahren, die in Colorado angewandt wurden, nachdem es zu einer ungewöhnlich hohen Zahl von sommerlichen Durchfällen gekommen war. Der genetische Fingerabdruck wies den Zusammenhang aller Erkrankungen und schließlich deren Quelle in den Hamburgern einer Fleischfabrik im Mittleren Westen nach.

Bei dem gefährlichen Erreger handelt es sich um eine Variante einer sonst harmlosen Bakterienfamilie, um das Escherichia coli 0157:H7. Escherichia-coli-Bakterien hausen in den Verdauungstrakten von Säugetieren. Beim Schlachten können die zum Verzehr bestimmten Fleischteile mit den Innereien in Berührung kommen. Das 1982 erstmals entdeckte und isolierte Escherichia coli 0157:H7 ist für rund 20.000 Infektionen jährlich in den USA verantwortlich, an denen etwa 9.000 Menschen sterben.

Trotz Versprechen keine besseren Kontrollen

Zum ersten Mal machte dieser Bazillus 1993 Schlagzeilen, als zu Bill Clintons Amtsantritt vier Kinder im Bundesstaat Washington nach einer Hamburgermahlzeit an einer tödlich verlaufenen Fleischvergiftung starben. Die Clinton-Regierung versprach, die notorisch unzulänglichen Lebensmittelkontrollen zu verschärfen – so wurde bisher nur jeweils eins von 250.000 geschlachteten Tieren auf chemische Rückstände untersucht. Anfang des kommenden Jahres sollte ein neues Lebensmittelüberwachungsgesetz in Kraft treten.

Kritiker machen geltend, daß auch die neuen Inspektionen die Infektion wahrscheinlich übersehen haben. Zwar wurden die nur visuellen Kontrollen der Fleischbeschauer durch sogenannte Checkpointkontrollen ersetzt, die das Fleisch an den strategischen Punkten seiner Umwandlung in ein industriell gefertigtes Nahrungsmittel untersuchen. Doch die neue Praxis sieht die Verwendung von nur 8.000 Inspektoren vor, die lediglich einen Hochschulabschluß haben und in einem zweiwöchigen Schnellkurs auf ihre neue Aufgabe vorbereitet werden.

Die Hamburger-Katastrophe nahm ihren Ausgang in der im Bundesstaat Nebraska gelegenen Fleischfabrik eines Nahrungsmittelkonzerns, der in Arkansas beheimatet ist. Das Landwirtschaftsministerium hat die Hudson Food Inc. vorerst geschlossen. Burger King gingen bereits die Hamburger aus, und bei anderen Fast- food-Ketten, die Produkte aus Hackfleisch servieren, ist es zu Engpässen gekommen.

Das Fleisch verschiedener Tiere wird vermengt

Der Hamburger ist nicht zufällig zum Wahrzeichen der Vereinigten Staaten geworden. In diesem Produkt kreuzen sich die industrielle Lebensmittelfertigung mit den Lebensbedingungen einer Arbeitsgesellschaft. Ohne Fast food könnten Millionen US-amerikanische Familien sich und ihre Kinder nicht ernähren. Fast food ist billig (der klassische Hamburger kostet 99 Cents) und meist 24 Stunden am Tag verfügbar – für viele Menschen, die bis zu 60 Stunden in der Woche arbeiten, oft die einzige Möglichkeit, unaufwendig etwas zu essen auf den Tisch zu bringen.

Der Hamburger ist das Spitzenprodukt einer Industrie, die die gesamte Nahrungsmittelherstellung revolutioniert hat. Die Chicagoer Schlachthöfe sind das Vorbild moderner Industrieproduktion überhaupt. Das Fließband war in diesen Schlachthöfen längst im Einsatz – eindrucksvoll von Upton Sinclair in seinem Schlachthofroman „Der Sumpf“ beschrieben –, als Henry Ford es für die Autoindustrie entwickelte. In Chicago wurde Fleischverwertung in einem Maße rationalisiert, daß jeder Teil des geschlachteten Viehs verwertet wurde. Das Produktionsverfahren, in dem Hamburger entstehen, begünstigt dabei allerdings die Ausbreitung von Krankheiten. Fleisch verschiedener Tiere wird beim Durchdrehen vermengt, wobei Millionen Fleischportionen infiziert werden können.

Doch auch wer sich unter dem Eindruck des Hamburger-Skandals vegetarisch ernähren will, hat in den USA zur Zeit keine Ruhe. Im März erkrankten Schulkinder in Kalifornien an mit Hepatitisviren verseuchten Erdbeeren aus Mexiko, und vorigen Monat erkrankten in Virginia Menschen an mit Escherichia-coli-Bakterien infizierten Alfalfa-Sprossen.