■ Zur Einkehr
: Im Landgericht

Der kategorische Imperativ einer jeden Kantine heißt „Boulette!“. Iß eine, und du weißt, wie der Rest schmeckt. Meistens sind sie schlecht. Zu hart oder zu wabbelig, teigig und geschmacklos-fade Maulgranaten, aufgetürmt trocknen sie hinterm Glas der Vitrinen vor sich hin. Doch es gibt einen Ort in Bremen, der in der Frikadellenszene als heißer Tip serviert wird: die Kantine des Landgerichts.

Schon gegen elf Uhr morgens wird das düstere Gebäude in der Nähe seines Haupteingangs vom herben Duft frischer Fleischmöpse umweht. Das ist die Zeit, in der alle Welt auf eine schnelle Beendigung des Verfahrens oder doch zumindest eine Prozeßunterbrechung drängt. Also gehen sie alsbald zum Futtertrog, der sich im Erdgeschoß hinter einer mit einem simplen Pappschild (Kantine, 8-14 Uhr) versehenen Holztür verbirgt.

Stumme Blicke, leises Tuscheln, gedämpfte Dialoge - es geht hier zu wie in einer Dorfkirche kurz vor der Beichte. Unterstrichen wird die Stimmung vom Interieur: Der Kantine haftet etwas Sakrales an. Die katholisch-düstere Holzvertäfelung harmoniert perfekt mit der evangelischen Schleiflack-Tristesse von Stühlen und Tischen, auf denen weiße Väschen auf viereckigen Stoffdeckchen eine ebenso dezente Flora hochhalten. Auf Fensterbänken protzen Pflanzen, deren wuchernde Lebensfreude von Gardinen (schwedischen?) gezähmt wird.

Der Raum ist absolut durchkomponiert. Prachtstück darin ist ein Mauervorsprung, geschmückt wie ein Altar. Sein Allerheiligstes, ein alter Tuner, an den rote Boxen aus den 60er Jahren angeschlossen sind, wird links und rechts gerahmt von jeweils einem Blumenstrauß, einer davon in einer ausgedienten Kantinenkaffeekanne. Abgerundet wird die Installation über dem Radio von einem Ölbild, das auf der gegenüberliegenden Wand im goldenen Schnitt mit seinem materiellen Pendant korrespondiert: Eine servierende Maid, gemalt im Stile alter holländischer Meister. Kein Zweifel: Diese Kantine ist Kunst! Kunst, an deren täglicher Neugestaltung die BesucherInnen unbewußt mitwirken. Wenn sie etwa eine Schlange als vertikale Linie quer durch den Raum bilden, um an die im Nebenraum gebrutzelten Frikadellen zu gelangen, erinnert das einmal mehr an die heilige Kommunion. Daß sich dabei der Stapel an Bildzeitungen an der Theke ebensoschnell verzehrt wie der Berg Kartoffelmus, könnte als besonderer Regietrick einer hintergründigen Fluxus-Performance interpretiert werden. Warum also nach Kassel fahren, wenn man im Landgericht Frikadellen essen kann? dah