288 Ansichten über das Glück

■ "Glücksforscher" Alfred Bellebaum über Philosophie, Theologie, Psychologie und Biologie des Glücks. Ihn interessiert die Frage: Wer weiß was warum über Glück?

Seit dem 1. Juli haben wir täglich Menschen nach ihrem persönlichen Glück befragt. Zum Abschluß kommt Professor Dr. Alfred Bellebaum (66) zu Wort. Der Soziologe an den Universitäten Koblenz und Bonn ist Gründer und Leiter des Gemeinnützigen Instituts für Glücksforschung e.V. in Vallendar.

taz: Was ist Glück?

Alfred Bellebaum: Schon in der Antike sind 288 verschiedene Ansichten über Glück erwähnt worden – ein überaus vieldeutiges Wort mit manchen angrenzenden Stichworten wie Zufriedenheit, Wohlbefinden, Lust. Griechische Philosophen hatten von Glück eine andere Vorstellung als beispielsweise Philosophen der Aufklärung. Für Buddha bedeutete Glück die Auslöschung aller Empfindungen im Nirwana. Christen wird das Glück im Paradies verheißen. Für einen polnischen Philosophen ist Glück die dauerhafte Zufriedenheit mit der Ganzheit des Lebens. Manche verstehen unter Glück die Befriedigung elementarer Bedürfnisse. Für die Reisebranche gilt: Glück ist käuflich. Ein Schriftsteller begreift Glück als Abwesenheit von Unglück. Kurzum: Glück ist das, was Menschen unter Glück verstehen. Die Glücks-Serie in der taz erbringt bemerkenswerte Befunde.

Kann man Glück wissenschaftlich erforschen?

Es gibt nichts, was nicht Gegenstand wissenschaftlicher Betrachtung sein kann. Mich interessiert Glücksforschung unter der Fragestellung: Wer weiß was mit welcher Begründung und welchen Folgen über Glück? Es gibt eine Philosophie des Glücks. Für Aristoteles z.B. ist der Mensch glücklich, wenn er vernunftgemäß lebt und also seine ihm von der kosmischen Ordnung zugewiesene Rolle wahrnimmt. Es gibt eine Theologie des Glücks, etwa im Zusammenhang mit Himmels- bzw. Paradiesvorstellungen. Es gibt eine Biologie des Glücks im Rahmen der expandierenden Gehirnforschung unter besonderer Berücksichtigung von Gehirnbotenstoffen wie Serotonin, Dopamin und Noradrenalin. Es gibt sozialwissenschaftlich-soziologische Untersuchungen zum komplexen Thema „Glück – Zufriedenheit – Wohlbefinden“ auf nationaler Ebene und im Vergleich ganzer Gesellschaften.

Ist Glück vergänglich, oder kann es auch von Dauer sein?

Glück gilt als eine eher flüchtige Angelegenheit. Goethe drückt das auf seine Weise aus: Verweile doch, oh Augenblick, du bist so schön. Die zeitliche Begrenztheit von Glückserlebnissen hat viel mit dem Umstand zu tun, daß das, was Menschen erreichen und sie beglückt, mit der Zeit in den Hintergrund der Aufmerksamkeit tritt und vergleichsweise bedeutungslos werden kann. Das wußte schon Homer: „Alles wird man ja satt, des Schlummers selbst und der Liebe.“ Der Mensch ist und bleibt konstitutionell bedingt ein unruhiges Lebewesen. Verständlich also, daß dauerhaftes Glück oft Göttern zugeschrieben und wiederholt ins Jenseits verlagert worden ist.

Ist jeder seines Glückes Schmied, oder ist die Gesellschaft beteiligt?

Das bekannte Sprichwort unterstellt, daß die Menschen für ihr – was immer dies im einzelnen heißen mag – Glück selbst verantwortlich sind. Dazu fünf Hinweise: In der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung von 1796 ist vom „Streben nach Glück“ als einem Menschenrecht die Rede. Der Staat garantiert nur die Möglichkeit, nach Glück zu streben, nicht jedoch, daß Menschen glücklich werden. Dafür haben sie gefälligst selbst zu sorgen. Angesichts trostloser Lebensumstände kann freilich das garantierte Streben nach Glück ins Leere laufen. Es gibt Menschen, deren Wohlbefinden trotz schlechter Lebensbedingungen exzellent ist. Manche vermuten eine „erblich-konstitutionelle Grundstimmung“ nach Art einer positiv-freundlichen Lebenshaltung. Thesen über ein sogenanntes Glücks-Gen sind sehr spekulativ. Beachtenswert sind auch teilweise erhebliche Unterschiede hinsichtlich Lebenszufriedenheit zwischen ganzen Gesellschaften. So liegen u.a. Dänemark und Holland weit über und etwa Portugal und Griechenland weit unter dem EU- Durchschnitt. Solche national unterschiedlichen Niveaus sind bislang nicht eindeutig zweifelsfrei erklärbar.

Was macht Sie glücklich?

Bergwandern, Urlaub an der Nordsee, der erfolgreiche Abschluß einer wissenschaftlichen Tagung über Glück, studierfähige Studenten, ein kürzlich ohne Operation überstandener Bandscheibenvorfall, gelegentliche Lektüre der taz, ab und zu ein gutes Essen mit guter Unterhaltung und gutem, trockenem, tiefgekühltem Wein. Gott schütze meine Leber! Interview: Barbara Bollwahn