Der Fluß gehört mir!

■ Auf bayerischen Flüssen stößt der Paddler auf viele Unwegbarkeiten

Acht Uhr früh, Morgennebel in der Luft. Keine Menschenseele am Fluß: Unser Kajak stöbert einen Flußreiher auf, begegnet einer Bisamratte und trifft eine junge, giftig fauchende Schwanenfamilie. Nur Frühstück scheint es hier nirgends zu geben. Die Altmühl nahe der bayerischen Kleinstadt Eichstätt mäandert in einem weiten Tal, Felsen kleben an Bergrücken. Libellen fahren im Boot mit, Schmetterlinge fliegen im Kreisverkehr. Das Boot gleitet rasch flußabwärts.

Vor allem will ich meine Ruhe haben. Mehr als zwei, höchstens vier Menschen hoffe ich in den nächsten Stunden nicht zu erblicken. Wer hier sonst noch paddelt, stört nicht nur das empfindliche Ökosystem im allgemeinen, sondern mich persönlich im besonderen. Angler, eine im allgemeinen ausgesprochen stille Spezies, sind gerade noch erlaubt. Amateure ohne eigenes Boot, die mit klappernden Paddeln den Fluß kreuzen und ein zügiges Überholen verhindern, am Ende gar lärmend die Tierwelt in Unordnung bringen, sind ein Greuel. Wieso sind die nicht schon lange gekentert? Der Fluß gehört mir!

Es gibt kaum eine angenehmere Fortbewegungsart, bei der Streß und Hektik restlos über Bord gespült werden und die zugleich die verkümmerten Muskeln stählt. Es braucht keine komplizierte Ausbildung, und die Grundausstattung ist nicht viel teurer als ein Fahrrad.

14 Uhr, gleißende Sonne, und kein Reiher läßt sich blicken. Dafür Menschen im Konvoy: Gummiboote, Kanadier, Kajaks, Flöße – alles, was schwimmen kann, treibt mit Bierflaschen an Bord die Altmühl herunter. Versperrt den Weg. Staut sich an jedem Wehr, das es umzutragen gilt. Macht aus der Natur einen Freizeitpark. Zeit für einen Biergarten bis zum frühen Abend, wenn die „Ahoi!“ grüßenden Massen ihr Quartier erreicht und das Leihboot abgegeben haben. Damit a Ruh is!

Vor nicht einmal zehn Jahren, da waren die meisten Seen und Flüsse noch leer. Es gab keine Bootsverleiher, und nur selten kreuzten Faltbootkanuten den Weg. Inzwischen hat sich eine neue Freizeitindustrie auf dem Wasser entwickelt, die drauf und dran ist, ihre eigenen Grundlagen wieder zu zerstören. Und meine Ruhe!

Doch nicht alle bayerischen Flüsse sind überfüllt. Die Altmühl zwischen Treuchtlingen und Dietfurt – dort beginnt die öde Betonrinne des Rhein-Main-Donau-Kanals – ist zwar längst „entdeckt“, aber trotzdem immer noch eine Flußwanderung wert. Die Naab nördlich von Regensburg fließt zunächst in einem weiten, eintönigen Tal, das sich jedoch nach Süden hin immer mehr verengt. Der Regen kommt mit leichtem Wasser hoch vom Bayerischen Wald zur Donau herunter: Da sorgt die rasche Strömung für weniger Paddelschläge, doch spitze Felsen und spritziges Wasser zwingen zur Konzentration. Da hält sich die Ruhe an manchen Flußkehren in Grenzen. Der Unterlauf der Isar lohnt einen Besuch, die Wörnitz schlängelt sich durch den Meteorkrater des Ries um Nördlingen, die Ilz bei Passau bleibt den Wildwasserkönnern vorbehalten...

Aber egal wo, alle paar Kilometer wartet ein Wehr auf den Kanuten. Es gibt fahrbare und unbefahrbare. Die fahrbaren rutscht man unter mächtigem Spritzen und schwerem Herzklopfen herunter, um anschließend das Boot von Wasser auszuschöpfen. Bei den unbefahrbaren dagegen legt man an, holt die Luftmatratzen aus dem Boot, dann das Zelt, die dicken, wasserdichten Bootssäcke, die Paddel, den Kleinkram, hievt das immer noch schwere Boot aus dem Wasser – und schleppt es bis hinter das Wehr. Es ist ein grundsätzliches Mißverständnis, daß das Paddeln selbst sehr viele Kräfte erfordert. Viel anstrengender ist Umtragen. Am Regen mußten wir das Boot schon mal rauf und runter durch einen Wald schleppen. Lange hat man eben auf keinem Fluß seine Ruhe. Klaus Hillenbrand