Der Spaß am Boeing-Ziehen

Im oberbayerischen Großkarolinenfeld fliegen die Baumstämme und die Zementkugeln. Heinz Ollesch und Bryndis Olafsdottir sind das stärkste Paar im Land  ■ Von Hans Kotter

Großkarolinenfeld (taz) – Der Mann schnallt sich das Geschirr um den Oberkörper. Er holt ein paarmal tief Luft und geht ein, zwei Schritte nach vorne, bis die Eisenkette gespannt ist. Dann legt er sich ins Zeug. Doch der Lkw rührt sich nicht vom Fleck. Dem Mann rutschen auf dem Teer die Füße weg. Dann findet er doch halt. Und schließlich rollt auch das zehn Tonnen schwere Gefährt an. Einmal in Bewegung, ist der Lastwagen kein Problem mehr für Heinz Ollesch. An der Kette zieht er ihn die Straße entlang.

Bei Bryndis Olafsdottir fällt alles eine Idee kleiner und eleganter aus. Mit der Kraft ihrer Muskeln schleppt sie einen eineinhalb Tonnen schweren Pkw hinter sich her. Eine leichte Übung für die kräftige Isländerin: nach wenigen Sekunden geht sie bereits in den Laufschritt über.

Ollesch (30) und Olafsdottir (27) leben in Großkarolinenfeld. Das ist in Oberbayern. Die beiden haben sich einer Sportart verschrieben, die davon ausgeht, daß nichts unmöglich ist. Strong Man bzw. Strong Woman Sports heißt sie. Das Prinzip: Was nicht niet- und nagelfest verankert ist, taugt auch als Sportgerät. Also: Olafsdottir schnappt sich einen gut fünfzig Kilo schweren Baumstamm und stemmt ihn in die Höhe. Ollesch wuchtet mit einem Ruck eine Zementkugel auf seine Schulter. Das sieht zwar aus wie ein Kinderspiel, aber die Kugel wiegt hundert Kilo, und manch Kraftmeier würde sich an solchen Übungen die Zähne ausbeißen. „Hundert Kilo an einer Hantel in die Höhe zu wuchten, ist keine Schwierigkeit, aber in Gestalt einer Kugel, die man nicht richtig anpacken kann, fällt das schon etwas schwerer“, sagt Ollesch. Dann stößt er den Zementkloß wieder von seiner Schulter. Die Wucht des Aufpralls läßt die Erde erzittern.

Zu Olleschs Spezialitäten gehört das Schleppen, Schieben oder Tragen von Fahrzeugen aller Art. Bei einem internationalen Wettkampf in Litauen nahm er einmal eine Boeing 737 ins Schlepptau. In weniger als 20 Sekunden hatte er die Maschine über eine Strecke von zehn Metern bewegt. Sehr gut.

Aber: Wozu eigentlich? „Das Faszinierende an diesem Sport ist die Kombination aus Kraft, Schnelligkeit und Ausdauer. Dazu die verschiedenen Disziplinen – das macht einfach großen Spaß“, so erklärt sich Olafsdottir ihre Begeisterung.

Strong Man/Woman Sports ist nichts für Muskelprotze. Die Lasten sind entweder so schnell wie möglich zu bewegen oder so lange wie möglich zu halten. Ohne Schnelligkeit und Ausdauer ist da nichts zu holen. Ohne Training auch nicht. Das starke Doppel aus Großkarolinenfeld steckt mitten in der WM-Vorbereitung. Die beansprucht derzeit fast jeden Tag mindestens ein oder zwei Stunden. Pro Übungseinheit stemmen sie Tonnen an Gewicht.

Mit Doping, sagen die beiden, haben sie nichts am Hut. Sie vertrauen auf Proteindrinks. Allerdings hängt ihnen das Zeug mittlerweile zum Hals heraus. „Jahrelang immer das gleiche: Schoko, Erdbeer, Banane oder Vanille. Irgendwann schmeckt das einfach nicht mehr“, sagt Ollesch. Er sieht aber keine Alternative. Ein Strong Man benötigt am Tag etwa 8.000 Kalorien – gut ein Drittel davon nimmt er durch Powerdrinks zu sich. Würde er dieselbe Kalorienmenge durch feste Nahrung zu sich nehmen, „würde ich mich schlapp fühlen, weil der Körper den ganzen Tag mit der Verdauung beschäftigt wäre“.

Seit fünf Jahren steht Heinz Ollesch unter den ersten Fünf der Weltrangliste. Bryndis Olafsdottir wurde in Island bereits zweimal zur stärksten Frau des Landes gekürt. Das heißt etwas. Ihre Heimat gilt als Hochburg der Strong Woman Sports. Demnächst wollen beide den WM-Titel holen. Die Veranstaltung der Männer findet im Oktober bei Las Vegas statt, für die der Frauen in Island müssen erst noch Sponsoren gefunden werden.

Für beide wäre der WM-Titel ein Schritt in Richtung Profisport. Sämtliche Versuche, das Hobby zum Beruf zu machen, schlugen bislang fehl. Es fanden sich keine Sponsoren. „Diese Sportart steckt hierzulande halt noch in den Kinderschuhen“, sagt Ollesch. Eine Kneipe aus dem Nachbarort leistet ihm aber schon mal Unterstützung – ihr Schriftzug prangt auf seinem Sweatshirt. Als Gegenleistung erhält er kostenlos Speis und Trank.

Allein mit den Preisgeldern kommen Ollesch und Olafsdottir nicht über die Runden. Die Siegerschecks bei der Handvoll größerer Wettkämpfe sind selten höher als 3.000 Mark. Ollesch muß tagsüber als Installateur ganz profan Rohre verlegen. Olafsdottir, ausgebildete Sportlehrerin, jobbt in einem Bekleidungslager. Willkommene Einnahmequellen sind gelegentliche Showauftritte. Ollesch zerquetscht dann Blechdosen oder zerfetzt Telefonbücher. Zur Zeit versucht er Wärmflaschen aufzublasen, bis sie platzen. Doch das Material bereitet Probleme. „Die modernen Wärmflaschen sind zu schwer, zu dick, zu robust“, hat er herausgefunden. Ältere Modelle haben eine dünnere Wand, sind aber „kaum mehr aufzutreiben“.

Kennengelernt haben sich Ollesch und Olafsdottir in Island. Im Dezember 1995 war das. Der Oberbayer feierte dort seinen ersten großen Erfolg – er holte sich den Titel des „stärksten Mannes der Welt“. Als Olafsdottir ihn das erste Mal sah, blieb ihr die Spucke weg: „Wow, ist der Typ kräftig gebaut“, dachte sie. Der Eindruck hat sich bestätigt. Ollesch kann Olafsdottir auf Händen tragen. Er (150 Kilo) nimmt sie (die Hälfte) und stemmt sie wie eine Hantel über seinen Kopf. Die 20.000 Mark für einen WM-Sieg könnte er gut brauchen. „Es klappt, oder es klappt nicht“, sagt er. „Aber wenn alles klappt, kann ich es schaffen.“ Wenn er dazu kommt, will er ein Haus bauen für sich und seine Gefährtin. Um Olafsdottir über die Schwelle zu tragen, muß er nicht einmal Luft holen.