■ Regierung und SPD-Opposition bringen die Unterwelt zum Zittern: Mit dem Großen Lauschangriff sollen nun Bordelle, aber auch Privatwohnungen überwacht werden. Doch selbst Sicherheitsexperten zweifeln an der Effektivität des Eingriffs
: Wanze

Regierung und SPD-Opposition bringen die Unterwelt zum Zittern: Mit dem Großen Lauschangriff sollen nun Bordelle, aber auch Privatwohnungen überwacht werden. Doch selbst Sicherheitsexperten zweifeln an der Effektivität des Eingriffs

Wanzen wirken keine Wunder

Gläubige Katholiken setzen auf eine Pilgerfahrt nach Lourdes, die Innenpolitiker in Bonn auf den Großen Lauschangriff: Der pure Glaube soll wahre Wunder bewirken. Nach einer jahrelangen heftigen Kontroverse haben sich Union und SPD jetzt auf die Einführung des sogenannten Großen Lauschangriffs zur Verbrechensbekämpfung geeinigt: Staatsanwälte und Ermittler dürfen künftig im Rahmen der Strafverfolgung auch die Privatwohnungen verdächtigter Personen mit elektronischem Gerät überwachen.

Der Absicht stand bisher das Grundgesetz entgegen. Deshalb beabsichtigen Koalition und SPD die in Artikel 13 des Grundgesetzes festgeschriebene „Unverletzlichkeit der Wohnung“ einzuschränken. Besteht der Verdacht, daß jemand eine besonders schwere Straftat begangen hat, „so dürfen zur Verfolgung der Tat auf Grund richterlicher Anordnung technische Mittel zur akustischen Überwachung von Wohnungen ... eingesetzt werden“.

Als magere Einschränkung gilt, daß „die Erforschung des Sachverhaltes auf andere Weise unverhältnismäßig erschwert oder aussichtslos“ sein müsse. Die Anordnung soll durch einen mit „drei Richtern besetzten Spruchkörper“ erfolgen, bei Gefahr im Verzug soll ein einzelner Richter ausreichen.

Der staatliche Einbruch in die Privatsphäre seiner BürgerInnen, das heimliche Aufzeichnen von Gesprächen in Privaträumen, wird von der Union seit vielen Jahren zum Allheilmittel im Kampf gegen organisierte Kriminelle verklärt. Verdrängt werden die Erfahrungen der Polizei, daß sich Mafiabanden oder andere kriminelle Organisationen ohne größere Mühe einer elektronischen Überwachung von Kneipenhinterzimmern, Bordellen oder Hotelsuiten (die nach dem Gesetz zu den Privaträumen zählen) entziehen oder selbst mit moderner Elektronik eine Überwachung verhindern können.

In den vergangenen Jahren hatte sich die FDP der Einführung des Lauschangriffes aus grundsätzlichen rechtsstaatlichen Erwägungen verweigert. Vor allem der Bürgerrechtsflügel der Liberalen um die frühere Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger vertrat die Auffassung, den Fahndern stünde bereits ein ausreichendes Instrumentarium für die Kriminalitätsbekämpfung zur Verfügung. Leutheusser und ihre Freunde unterlagen aber in einer parteiinternen Urabstimmung, in der sich die Mehrheit der FDP für die neue Polizeibefugnis aussprach.

Widerstand gab und gibt es auch in den Reihen der SPD. Die Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Juristinnen und Juristen (AsJ) fordert die Einhaltung des Wiesbadener Parteitagsbeschlusses von 1993, der die Einführung des Lauschangriffes an weit enger gezogene rechtliche Grenzen bindet, als sie jetzt vorgesehen sind.

Justizminister Edzard Schmidt- Jortzig (FDP) hob gestern hervor, daß das vereinbarte Gesetzespaket auch den Zugriff auf illegal erworbenes Vermögen verbessere. Künftig soll der bloße Verdacht ausreichen, um Geld, das aus illegaler Tätigkeit stammen könnte, zunächst für sechs Monate sicherzustellen. Das ist das Entgegenkommen der Koalition an die Sozialdemokratie. Der Justizminister bezeichnete den Kompromiß als „ausgesprochen wohlgelungen“. Die Einigung sei zwar kein Allheilmittel, aber enthalte wesentlich bessere Instrumente zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität. Zufrieden gab sich auch der SPD-Verhandlungsführer Otto Schily: „Wir haben einen vernünftigen und wohlabgewogenen Kompromiß erzielt.“ Schily ist zuversichtlich, daß die Gremien der SPD das Verhandlungsergebnis billigen.

Die Auseinandersetzung um den Wanzeneinsatz ist künstlich hochgepuscht. Das zeigt ein Blick in die Statistiken. Im Bereich der Prävention, das heißt bei der Vorbeugung von Straftaten, ist der Lauschangriff längst fester Bestandteil der Landespolizeigesetze. 15 von 16 Bundesländern (die Ausnahme ist Bremen) lassen das Abhören und Aufzeichnen von Gesprächen in Wohnungen und sonstigen Räumen zu, wenn dies etwa „zur Abwehr einer gegenwärtigen Gefahr für Leib und Leben einer Person unerläßlich ist“.

Jedoch: So weit die Befugnisse zum Teil gefaßt sind, so wenig wird von ihnen Gebrauch gemacht. Nur acht der 16 Bundesländer setzten in den letzten Jahren den Lauschangriff zur Gefahrenabwehr ein. In den acht anderen Ländern kamen in den vergangenen sechs Jahren rund hundert Fälle zusammen, in denen auf die Möglichkeiten der Polizeigesetze zurückgegriffen wurde. Letztlich führte der Lauscheinsatz auch in diesen Fällen nur dreimal zu einem angeblichen Erfolg. Die Zahlen stammen aus einer großen Anfrage der SPD, die die Bundesregierung im Sommer vorigen Jahres beantwortete.

Die Effektivität des Lauschangriffs ist auch unter den Sicherheitsbehörden umstritten. Anläßlich einer telefonischen Schaltkonferenz der Staatssekretäre der Innenministerien hielten die Vertreter Brandenburgs schon im Herbst 1992 schriftlich fest: „Die Erfahrungen in der Terrorismusbekämpfung haben gezeigt, daß beispielsweise die RAF von der – irrigen – Annahme ausging, daß die Sicherheitsbehörden das gesprochene Wort in Wohnungen abhörten, und deshalb konspirative Absprachen außerhalb geschlossener Wohnungen stattfanden“. Dem damaligen BKA-Chef und Wanzenbefürworter Hans-Ludwig Zachert hielten sie entgegen: „Aus hiesiger Sicht werden die vom Präsidenten des Bundeskriminalamtes unterstellten Ermittlungserfolge zumindest nicht in dem gewünschten Ausmaße eintreten.“ Wolfgang Gast