„Die Belästigerstudie verzerrt die Realität“

■ Grüne Abgeordnete Ida Schillen: Studie zu sexueller Belästigung ist kontraproduktiv

taz: Du hast den Fragebogen über sexuelle Belästigung in der grünen Partei nicht ausgefüllt. Ist dir das Thema nicht wichtig?

Ida Schillen: Doch, das ist eine sehr ernsthafte Frage. Ich habe mich nur geweigert, weil ich die ganze Art der Befragung nicht für adäquat halte. Der Fragebogen geht hinter das zurück, was die Berliner Grünen bereits erreicht hatten. Wir haben 1989/90 im Berliner Antidiskriminierungsgesetz, dem heutigen Gleichstellungsgesetz, formuliert, was sexuelle Belästigung ist. Deswegen finde ich es kontraproduktiv, wenn 25 Definitionsmöglichkeiten abgefragt werden – als würden wir uns zum ersten Mal mit dem Spektrum befassen, das von abschätzigen Bemerkungen und eindeutigen Sprüchen bis hin zum Grapschen und der Aufforderung zum Sex reicht.

Was stört dich im einzelnen?

Anstatt anonyme Studien zu erstellen, halte ich es für wichtiger, die konkreten Fälle zu klären und Frauen zu unterstützen, sich offensiv gegen Belästigungen zu wehren. Es war gerade das Verdienst der Grünen in den 80er Jahren, daß die betroffenen Frauen – bei einem Fall in der Bundestagsfraktion – den Grapscher öffentlich gemacht haben und sich der Diskussion stellten. Da kam der Abgeordnete in die Defensive. In der letztjährigen Debatte über zwei Fälle bei den Berliner Grünen war das anders, da sind die Frauen nicht selbst an die Öffentlichkeit getreten. Sie haben damit die Definitionsmacht den Männern überlassen.

Die Studie stellt anhand von 23 Fällen sexueller Belästigung weitreichende Interpretationen an – etwa, daß 73,9 Prozent der Belästigungen von Funktionsträgern ausgegangen sind.

Man kann nicht auf der Basis so weniger Fälle auf eine bestimmte Gruppe innerhalb der Grünen zielen. Die Studie tut das. Sie ermittelt Funktionsträger mittleren Alters als die Belästiger und Parteineulinge als die Leidtragenden. Daraus wird gefolgert, die Männer wollten so Konkurrentinnen ausschalten. Das ist nicht plausibel. Parteineulinge sind keine Konkurrenz.

Manche Zeitung amüsiert sich mittlerweile über die „Sexkrise bei den Grünen“.

Die Studie verzerrt die Realitäten. Die Öffentlichkeit meint, die Grünen haben die Krise, die anderen wiegen sich in Unschuld. Das zeigt: Es ist einfach falsch, wie wir damit umgehen. Die Studie ist Erbsenzählerei in den eigenen Reihen und läßt viele Interpretationen offen. Dabei ist offensichtlich – das zeigen die Reaktionen auf der Frauenvollversammlung –, daß die Grünen in bezug auf das Verhältnis zwischen Männern und Frauen besonders sensibel sind. Wir haben einen Schutzraum für Frauen geschaffen. Bei den Grünen gibt es Frauenreferentinnen, die gezielt gegen Diskriminierung vorgehen sollen. Es ist Kompetenz und Geld für diese Frage vorhanden. Und es gibt ein hohes Unrechtsbewußtsein. Daraus resultiert eine Erwartungshaltung an Männer, diskriminierendes Verhalten zu unterlassen. Wer sich nicht daran hält, ist bei uns schnell isoliert. Interview: Christian Füller