Bei den Pseudosingern

■ Der taz-Schlagerexperte zu Gast bei Ilona Christen (15 Uhr, RTL)

Nachdem es ungefähr vier Jahre lang bequatscht, begutachtet und seziert wurde (also „durch“ ist), ist das Thema nun auch ein Fall für Ilona Christen: das angebliche Schlagerrevival, Schlaghosen, Koteletten, toupierte Haare. Da mein Name verschiedentlich in einer Fachzeitschrift von und für Rockisten zu lesen war, bin ich für Frau Christens Redaktion automatisch ein „Experte“, was mich zunächst verwundert und besorgt. Aber Kompetenz scheint hier keine Expertenvoraussetzung. Am Telefon erfahre ich, daß ich nun also erbitterter Schlagergegner bin, für eine Stunde, „also netto so 46 Minuten“. Und weil das netto so 250 willkommene Mark bringt, geht das in Ordnung. Natürlich kann man auch gleich auf den Strich gehen, werde ich später denken.

Aber erst mal ganz niedlich: Denen werde ich's zeigen und alles kaputtmachen und ganz schön gewitzt dastehen und den Mechanismus unterwandern. Die 250 Mark habe ich gekriegt, vorher. Der Rest war dann aber Hitze, Demütigung und Verdunklungsgefahr fürs Gemüt. „Der Schlager lebt“ heißt das „provokative“ (Christen) Thema der Sendung, aufs Podium geladen sind Jürgen Drews, Guildo Horn, Michael Holm und andere Geronten. Der „Aufenthaltsraum“ füllt sich, wie die alle so heißen, kann man nur raten. Das kommt gar nicht gut an: Mein freundliches „Hallo, Gottlieb Wendehals“ verärgert Michael Holm so, daß er in der Sendung zu mir sagen wird „ich habe jetzt den Namen gar nicht behalten“, woraufhin ich „Michael Holm“ rufe, und dann ist alles ganz durcheinander. Kurz vor der Sendung geht die Redakteurin noch mal meine Antworten mit mir durch und mit den anderen auch.

Und nun krabbeln sie aus der Kulisse, vollführen Reigen zum Vollplayback und reden über ihren großen Erfolg. Das Expertenteam (wir, ich!) sitzt in der ersten Reihe und schwitzt. Neben mir sitzt Stefan, der „Schlager-Fan“, der Zettel mit Notizen dabei hat, aber nicht mal Peggy March kennt. Auch Frank oder so, der ziemlich untalentierte „Rapper“, reduziert mein Minderwertigkeitsgefühl ob des mir unterstellten Expertentums. Teddy Hörsch von Viva knurrt dauernd „Scheiße“ und „ist das warm“, und er hat recht.

Die Ilona („Ilona und Sie, so machen wir das immer, ist das o.k.?“) spielt mir einen Ball zu: Schlager sei ja wohl nicht so mein Ding. Nein, sage ich, ist nicht mein Ding, Sie, Ilona. Weil von den Herren Horn und Holm schon innerhalb weniger Minuten so viele Lügen angehäuft wurden, bin ich leider gar nicht mehr so entspannt wie erhofft und will nun doch mal in der Sache ... Das klappt gar nicht, ganz blöde Idee, ich rede irgendwas daher, was reicht, Herrn Holm erneut zu verärgern und seinen mäandernden Redefluß vom Humor zum Weltkrieg und sogar zum Niveau zu verleiten. Daß eine nachmittägliche Talksendung der denkbar schlechteste Ort ist, um über Niveau und „Banalität“ (Christen, ausgerechnet) zu plaudern, ist eine erneut unbeliebte These von mir, und das Monster hinter mir brüllt mir ins Ohr, daß man meinen „ganzen Scheiß“ ohnehin „rausschneiden“ werde. Ich hoffe, daß man vielleicht wirklich alles rausschneidet, nur die 250 Mark (Vorkasse!) nicht. Das Publikum möchte mich eigentlich jetzt schon gerne aufessen, aber da kommt Jürgen Drews und „singt“ sein Lied über das Bett und – küßt mich auf den Kopf. Ich kann nichts tun. Es ist heiß, und wir werden nachgetupft. Ilona Christen findet Schlager auch ganz schön gut, ich aber ja laut Drehbuch nicht, und langsam reicht es mal mit der Denunziation. Also bringe ich zur Sprache, daß alles ja nur Fernsehen sei und nach Verabredung laufe, und da ist es dann ganz still. Vielleicht kann man das ja auch rausschneiden.

Natürlich schimpft man mich nun „Pseudokritiker“. Wogegen nichts zu sagen ist, wurde ich doch als solcher verpflichtet; aus Gründen der Eitelkeit verweise ich auf das Pseudosingen (Playback) und denke bloß noch ans Rausschneiden. Rausgehen wäre auch gut, aber das Kabel geht nicht ab. Mir fehle es an Menschlichkeit und Toleranz, höre ich. Und ich sei, der beste Talkshowvorwurf überhaupt, „total subjektiv“. Herr Drews raunzt in der Werbepause seinem Schlagertrupp zu, daß es ohne mich aber auch langweilig und alles nur showbusiness wäre. Ja, aber die Menschlichkeit, sagt Michael Holm, und da klatsche ich, denn alles will ich sein – nur nicht der Freund von Jürgen Drews. Aber kaum ist der Werbeblock eingepaßt, nennt mich Korndrews einen „ganz armen Kerl“, und das ist ja auch so. Den Herrn Holm bewundere ich (auf seine ausdrückliche Bitte hin!) für sein Lebenswerk und seine Lackschuhe, jedoch mein „Unterton allein“ geht schon mal wieder gar nicht, was das Publikum gerne bestätigt.

Dann gibt es noch Ärger mit dem Udo-Jürgens-Fanclub, eine Dame knickst, kratzt die ihr zur Verfügung stehende Polemik zusammen, und weil das so schön frech ist, trampeln wieder alle. Sowieso trampeln alle nur noch. Ich klatsche, schwitze, lobe Udo Jürgens, und Peggy March sagt den süßen Satz: „Ich hatte sehr viel Glück in meinem Platten-Leben.“ Leichtsinnig lasse ich mich auf eine Verkaufszahlendiskussion ein, und Jürgen Drews („IM Kornfeld“) darf von einem großen Erfolg 1989 erzählen, womit in den Augen von Frau Christen und dem johlenden Wischmob sein gegenwärtiger Mega-Erfolg belegt ist. Ich sage jetzt mal lieber gar nichts mehr. Ich klatsche jetzt einfach nur noch, wenn sie auf mich eindreschen, das zumindest irritiert. Die Menschlichkeit, yeah, und Applaus, ich klatsche, und bald ist alles vorbei.

Hinterher kumpelt mich Jürgen Drews an. Und da kann man nur zurückkumpeln, und ich sage: „Ey, Jürgen, alter Profi.“ Und dann zwinkert und lacht er und sagt „dito“. Er sagt wirklich „dito“. Vor der Tür kotzt jemand. Was ja jetzt ein super ausgedachter Schluß wäre, aber es ist tatsächlich so: Draußen kotzt jemand. Dito. Benjamin v. Stuckrad-Barre