ABM für Spezialisten und eine rezessive Branche

■ betr.: „Der Crash beginnt an der Kasse“, taz vom 25.8. 97

Von Jahr zu Jahr kann man im Sommerloch immer wieder eine neue Variante der Jahrhundertkatastrophe lesen. Nein, ich meine keine Sturm-, Überschwemmungs-, Erdbeben- oder anderweitige schlichte Naturkatastrophe – mit so etwas rechnet man ja zwangsläufig, weil es das schon seit Jahrhunderten gibt und die Folgen davon eben teuer zu stehen kommen. Nein, es geht um die „zweitteuerste Katastrophe in der Menschheitsgeschichte“ (Meryll Lynch: „The Millenium Challange“, edp, 28.7. 97), um den Zusammenbruch aller Computersysteme anläßlich der Jahrtausendwende in drei Jahren.

Die neue Zeitrechnung gibt es seit 1.997 Jahren. Mit leidlich berechenbarer Häufigkeit und Wahrscheinlichkeit erfolgt etwa alle 100 Jahre ein Jahrhundertwechsel, der letzte vor 97 Jahren. Mit annähernd gleicher Berechenbarkeit folgt alle 1.000 Jahre ein neues Jahrtausend. Zur Zeit ist es so, daß eine 98jährige Person (so etwas gibt es, auch wenn das meist Personen weiblichen Geschlechts sind, die sich naturgemäß einer geringeren öffentlichen Beachtung erfreuen, weil sie der Kategorie der Rentner zuzurechnen sind) mit einhundertprozentiger Wahrscheinlichkeit im vorigen Jahrhundert geboren ist. In vier Jahren wird dieses Schicksal schon ein einjähriges Kind erleiden – verschärft dadurch, daß es nicht nur ein Kind des vorigen Jahrhunderts, sondern eines des vorigen Jahrtausends sein wird.

Die elektronische Datenverarbeitung gibt es seit rund 40 Jahren. Ich weiß noch recht gut, obwohl die Branche mich vor etwa zehn Jahren verließ (hochqualifiziert, weiblich, zu alt), daß die Kleinheit der Speicher uns immer zum Sparen nötigte, damit möglichst schnelle, leistungsfähige Programme entstehen konnten. Dort, wo es um die Verarbeitung von Personendaten ging, verursachten die über 100jährigen Sonderfälle immer üble Programmabstürze, weil der Vollidiot Computer, dem wir für das Geburtsjahr nur zwei Speicherplätze zugestanden, streikte, wenn eine Neugeborene verwitwet war, was der vor 100 Jahren Geborenen ja durchaus zustand (denn bei Jahrgang 97 erlaubte die schlichte Denkungsart der Maschine keine zwei Möglichkeiten der Interpretation). Noch fataler wurde es, wenn das anliegende Geburtsjahr (99) größer war als das Kalenderjahr (97), dann war die Person minus zwei Jahre alt, und der Bildschirm flimmerte verzweifelt error in system – weil damals sprachen diese Maschinen noch – ausschließlich – Englisch. Nun haben sie zwar inzwischen weitere Fremdsprachen erlernt, trotzdem wird in der Nacht von 1999 auf 2000 der Computer ausflippen, weil das neue Jahr 00 kleiner ist als das alte Jahr 99. Das überlebt der Anwender nicht bzw. seine Software, die gnadenlos davon ausgeht, daß das nächste Jahr immer – mindestens – um eins größer ist als das vorige.

Der – natürlich hochkarätige – Durchschnittsspezialist der Branche ist weiß, männlich, 35 Jahre alt, gut verdienend und Kind dieses Jahrhunderts. Offensichtlich ist er so hochspezialisiert, daß er nicht im Stande ist, Hard- und Software eines Computers (diese Produkte gelten als extrem kurzlebig) auf eine solche Jahrhundertkatastrophe abzustimmen.

Mit großer Wahrscheinlichkeit wird er aber an dieser Katastrophe hervorragend verdienen. Die Praktikerin rät: Schaffen Sie Ihren Computer rechtzeitig ab, bevor er in solcher Form die Endzeit einläutet – oder fragen Sie Ihre Fachfrau beim nächsten Hard- und/oder Softwarekauf, ob sich diese Katastrophe vermeiden läßt. Wie, da gibt es keine Fachfrauen?

Da sehen Sie wieder einmal, wozu es führt, daß Frauen von den gut bezahlten Jobs ausgeschlossen werden – und es ist stark anzunehmen, daß dies nicht die einzige gewinnbringend vorprogrammierte Katastrophe der zukünftigen Menschheitsgeschichte bleibt. Elke Plöger, Staatssekretärin für Frauenpolitik in Sachsen-Anhalt