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: Das Gute im Tier

Haben Tiere eine Moral? Können sie zwischen Gut und Böse unterscheiden? Oder reagieren sie nur nach einem vorgegebenen Handlungsmuster? Obwohl diese Fragen schon seit Jahrtausenden gestellt werden, gibt es bisher keine erschöpfende Antwort. Lange Zeit dominierte Decartes' Vorstellung die Diskussion: Tiere können nicht empfinden. Erst in den vergangenen Jahrzehnten setzte sich – zumindest bei einigen Verhaltensforschern – die Meinung durch, daß Tiere sehr wohl ein den Menschen vergleichbares Verhalten zeigen.

Eine Fülle von eindrucksvollen Beispielen führt der international renommierte Primatenforscher Frans de Waal in seinem Buch Der gute Affe an. Für ihn sind sie der Beweis dafür, daß „Überleben nicht nur von Stärke und Kampf, sondern auch von Freundlichkeit, Hilfsbereitschaft und Mitgefühl abhängt“. Charaktereigenschaften, die wir Tieren bisher nicht zugesprochen haben. Insbesondere bei den dem Menschen verwandtschaftlich sehr nahe stehenden Menschenaffen, den Schimpansen, Bonobos und Gorillas, beobachtete de Waal häufig, daß die Tiere Einfühlungsvermögen besitzen. Sie können sich in Artgenossen hineinversetzen und Trauer, Schmerz und Freude mit ihnen teilen. Benachteiligte Tiere bekommen Hilfe und Zuneigung. De Waal ist davon überzeugt, daß bereits bei unseren gemeinsamen Vorfahren die Anlagen für moralisches Empfinden vorhanden waren – wenn auch sehr rudimentär. Nur bei den Menschen sind sie dann im Laufe der Evolution weiter ausgebildet worden. Wolfgang Löhr

Frans de Waal: „Der gute Affe“, Hanser Verlag, München 1997, 335 Seiten, 49,80 DM