Westliche Traditionen, afrikanische Ideen

■ „Circus Ethiopia“bündelt im Bremer Schlachthof Akrobatik, Theater und Musik zu afrikanischen Reality-Zirkus RealityZirkus-Zirkus

Drei wunderschöne Kids sitzen verschlafen in einem runtergekommenen Schlachthofraum, mümmeln Cornflakes in sich hinein. Um 6 Uhr morgens sind sie in Bremen angekommen. Ihre letzte Tourneestation hieß Zürich. Wie nimmt ein äthiopischer Dreikäsehoch einen alternativen, deutschen e.V.-Kulturraum wahr? Müssen ihm Cornflakes nicht genauso seltsam vorkommen wie einem Europäer gebackene Heuschrecken? Mit anderen Worten:Ist es nicht irsinnig anstrengend für die 35 acht- bis achtzehnjährigen Mitglieder des Circus Ethiopia, während ihrer Schulferien einen Kultursprung zu überstehen und dazu noch ein Tourneeprogramm zu bewältigen? „Die Kinder empfinden sich als Botschafter ihres Landes, erleben Anerkennung und finden das Touren toll“, erzählt der Weltbürger und Tourneeleiter Meshesha.

In einem Schlachthofprogramm ist der Zirkus als typischer Westimport beschrieben, initiiert von einem wohlmeinenden kanadischen Pädagogen. Die Zirkusleute dagegen erzählen von ausreisewilligen, jüdischen äthiopischen Jugendlichen, denen ein bißchen Artistik als Überbrückungsmaßnahme bis zur Abfahrt diente. Sechs davon entschieden sich schließlich, in Äthiopien zu bleiben. Der Circus Ethiopia wäre demnach ein klassisches Projekt von unten. Passend dazu will Meshesha bei einer kleinen Pressekonferenz partout den Jugendlichen das Wort überlassen, Indiz für das unhierarchische Konzept des Projekts. Die allerdings sind kaum besser im Englischen bewandert als ein durchschnittlicher taz-Redakteur.

Erst nach einigem Drängen läßt sich der „Vater, Mutter, einfach alles“erweichen, über Chancen und Fallstricke des Völkeraustausches zu berichten. Der Circus Ethiopia ist „Reality-Zirkus“. „Jonglieren, Pyramidenbau: Das alles sind westliche Traditionen. Wir aber machen ganz eigene Dinge daraus.“

Bei der letzten Show zum Beispiel setzten sie sich auseinander mit Aids und Vergewaltigung. „In der Presse hieß es dann, unsere Show beschäftige sich mit äthiopischen Problemen. Als seien Aids und Vergewaltigung nur in Afrika zu Hause.“So nabelbeschauend war es aber eben nicht gemeint. „Deshalb haben wir in unser aktuelles Programm ,Together' eine europäische Straßenszene eingebaut, sie spielt am Berliner Kudamm. Die Kinder haben also auch Tourneerfahrungen verarbeitet.“Eigentlich werden die Nummern vom Trainer konzipiert. „Aber die Akrobaten improvisieren viel drumherum, oftmals um ein Mißgeschick auszugleichen. Das Publikum interpretiert das dann als absichtlichen Joke.“

Circa 1.000 Jugendliche haben sich mittlerweile der Zirkusbewegung angeschlossen. „In der europäischen Presse heißt es oft, daß es sich um Straßenkinder handelt. Das stimmt nicht. Aus armen Familien, die nicht gerade traumhafte Perspektiven bieten können, kommen allerdings die meisten. Viele unserer Kinder unterrichten übrigens Straßenkinder, zum Beispiel in Englisch.“Trainieren tut man zwei Stunden am Tag in einem Raum – Meshesha blickt sich um – „etwa so groß wie dieser hier. Er ist so niedrig, daß wir für die Pyramide ein Loch in die Decke machen mußten.“

In Äthiopien treten die Kids jede Woche auf Märkten bisweilen vor mehrerern tausend Zuschauern auf. Durch Europa touren sie, um eine Artistenschule in Addis Abbeba zu finanzieren. Den Stand der Dinge beschreibt Meshesha so: „Es sieht nicht schlecht aus, ganz gut allerdings auch nicht.“bk

2.–6.9. im Schlachthof, 20 Uhr