Lieber Kopfweh als kopflos

■ Nachrichten aus Umtata, Teil vier, oder: Warum wir in Zukunft seltener über die Pharmaindustrie schimpfen wollen

Den abgeschnittenen Männerkopf hatte der Fahrgast in einer Plastiktüte dabei, als die Polizei das Sammeltaxi bei einer Routinekontrolle durchsuchte. Der Kopf gehörte einem 13jährigen Jungen, der zuletzt in der Nähe von Mfundisweni gesehen wurde. Der Mann mit der makaberen Plastiktüte konnte die Polizei zu dem Ort führen, an dem er die enthauptete Leiche verscharrt hatte. Den Kopf habe er zur Zubereitung von Muti verwenden wollen, erklärte er dem Haftrichter in Bizana. Der Fall ist nicht alltäglich, aber auch nicht so ungewöhnlich, daß er der Lokalzeitung mehr als zwei Kurzmeldungen wert wäre. „Muti-Mord“ist den Menschen ein Begriff, im Chambers-Macmillan, dem südafrikanischen Duden, nüchtern definiert als „Mord, ausgeführt, um bestimmte Körperteile zur Zubereitung traditioneller Medizin zu nutzen“.

Nicht mehr als eine Meldung sind in der Woche danach auch die Männer wert, die in Imizizi eine Witwe erschlagen haben – weil sie eine Hexe gewesen sei. Oder der 32jährige Mann, der seine Schwägerin tötete, weil sie seinen Bruder erst ins Grab gehext habe und nun mit Zauberei seine Wiederauferstehung verhindere. In Umtata scheinen diese Berichte aus einer anderen Welt zu stammen. Doch sie geschehen noch heute und gar nicht weit weg in den Dörfern der Transkei. Und mit Muti bekämpft auch mancher Städter seine Angst vor dem bösen Blick. Nur muß hier kein Mensch dafür sterben.

Was die Muti-Händlerinnen im offenen Markt von Umtata auf ihren Tischen ausbreiten, stammt aus den Wäldern der Transkei. Dicke, dünne, pfeilspitze und kokosnußrunde Pflanzenwurzeln werden angeboten, die zur Zubereitung erforderliche Gemüseraspel gibt es umsonst dazu. Als „traditionelle Pflanzenheilkunde“weckt Muti neuerdings auch das Interesse von Medizinmännern mit akademischem Titel. „Was wir von traditionellen Heilern lernen können“, heißt ein Vortrag an der Universität. Im Unterschied zur Apotheken-Medizin ist Muti billig und hilft oft besser.

Denn was dem einzigen niedergelassenen Hausarzt mit Universitäts-Diplom in der Halbmillionenstadt Umtata zum Thema Krankheit einfällt, heißt nämlich immer nur Antibiotikum. „Das kann alles mögliche sein“, ist seine Lieblingsauskunft nach der Diagnose, „aber mit diesem Mittel geht es bestimmt bald wieder weg.“Wie praktisch, daß der Arzt die verschriebene Medizin auch gleich selber verkauft. Die Meinung, Krankheit sei am besten mit Schmerzmitteln zu bekämpfen, hat sich inzwischen allerdings auch außerhalb der weißen Minderheit verbreitet.

Dabei gibt es manch wirkungsvolles Muti sogar gratis. Wer ans Meer fährt, muß unbedingt ein paar leere Plastikflaschen mitnehmen. Denn nichts hilft besser gegen Grippe oder Kopfschmerz als ein paar Schlucke warmes Salzwasser mit dem befreienden Kotzen hinterher. Wer in die Berge fährt, nimmt auch Plastikflaschen mit, wenn er es sich nicht mit der Verwandtschaft verscherzen will. Denn was beugt besser vor als ein Glas Quellwasser aus dem Langeni Forest?

Doppelt hält dabei auch in Umtata immer besser: Etwas Muti gegen den bösen Blick und ein Antibiotikum gegen die bösen Bazillen. Ein Händler hat diese Weisheit auf einem großen zweisprachigen Schild über seinen Muti-Verkaufsstand im Umtata-Markt gehängt: „Ich untersuche Sie genau, und wenn die Krankheit schwer ist, schicke ich Sie garantiert ins Krankenhaus.“Aber lieber nicht ohne Muti. Denn noch auf dem Weg dorthin könnte einen der böse Blick treffen – zum Beispiel von dem Mann mit der Plastiktüte. Der wurde nämlich vom Richter nach Verlesung der Mordanklage erst mal gegen 200 Mark Kaution wieder freigelassen. Dirk Asendorpf