Ein Fernsehabend Von Klaudia Brunst

Natürlich waren wir zunächst mindestens so geschockt wie die Weltöffentlichkeit. Unsere Nachbarin fing sich wie immer als erste. „Die bringen in der ARD bestimmt einen ,Brennpunkt‘. Trennpunkt: zwanzigfünfzehn vor eurem Fernseher. Ich bringe die Kondolenzkräcker mit, habt ihr ausreichend Trauerschaumwein? Mein Gott, das arme Ding. 36 Jahre alt und schon tot.“

„Ach! Schon wieder Seelmann- Eggebrecht“, zeigte meine Freundin auf den NDR-Chefreporter, „der hat heute aber auch einen langen Tag! Der war schon in ,Bristant‘ und in den Nachrichten.“ – „Der Engelkes sieht auch aus, als hätte er eine lange Nacht gehabt“, fand unsere Nachbarin und forderte mehr Contenance.

Pflichtbewußt nahmen wir Haltung an, als die Märchenbilder der toten Märchenprinzessin an uns vorüberzogen. „Wußtet ihr, daß die Di ihren Charles erst nach der Verlobung überhaupt Charles nennen durfte? Vorher mußte sie ihn doch tatsächlich mit ,Sir‘ anreden!“ – „Solange er nicht auf o.b. bestand ...!“ kicherte mein schwuler Freund, „na, ihr wißt doch! Die Tonbänder von Camilla und Charles. Laß mich den Tampon sein. Erinnert ihr euch etwa nicht?“ Natürlich erinnerten wir uns.

Auch an ihr Exklusivinterview, wo wir sie zum ersten Mal hatten reden hören und an diese unverständliche Leidenschaft für Michael Jackson. Oder war es Prince gewesen? „Sie soll ja ein bißchen launisch gewesen sein“, meinte meine Freundin. „... und kaufsüchtig!“ triumphierte unsere Nachbarin. „Angeblich hat die ja einen ganzen Palast voller Klamotten“ – „Aber am schönsten war doch die Hochzeit, oder?“ schlug sich mein Freund die Hände vor das Herz. „Was der Charley nur an dieser Camilla findet? Wo ihm seine Di doch zwei so stramme Prinzen geschenkt hat!“ – „Er seinerseits soll sich ja sehnlichst eine Tochter gewünscht haben“, wußte meine Freundin, „kein Wunder, daß die Frau Bulimie bekommt. Irgendwie ein gnadenloses Leben, was meint ihr?“

„Ich bin da ganz deiner Meinung“, nickte unsere Nachbarin beifällig, während sie die Fernbedienung suchte, um auf RTL umzuschalten. „Da bringen sie jetzt noch einmal den Film ,Charles und Diana‘, über das traurige Leben der traurigen Prinzessin. Den habe ich damals verpaßt. Und um zweiundzwanzigfünfzehn läuft dann noch ,Spiegel-TV extra‘. Das nehmen wir auch noch mit, oder?“

„Ob das wohl stimmt, daß die Paparazzi sogar weiter fotografiert haben, als Diana da blutend im Auto lag?“ wollte meine Freundin wissen. „Es war ein 600er Mercedes“, antwortete unsere Nachbarin. „Na, der Wagen! Ein schwarzer 600er Daimler mit Chauffeur aus dem Ritz. Von dem Ägypter. Na, ihr wißt schon!“

„Also für möglich halte ich das schon“, meinte mein schwuler Freund nachdenklich, „daß die skrupellos alles fotografiert haben, was ihnen da vor die Linse kam. Bei den Summen, die da für ein Di- Foto in England gezahlt werden...“ – „Das ist doch pervers!“ empörte sich unsere Nachbarin, „natürlich haben diese Paparazzi unsere Diana in den Tod getrieben. Und wofür! frage ich euch. Wofür? Für ein mieses kleines unscharfes Foto. Ich frage euch: Wer interessiert sich schon dafür? Also ich finde das pervers. Warum konnte man die Frau nicht in Ruhe lassen?“