Die Gugelhupf-Strategie

■ Wie die "Berliner Zeitung" ab heute nun endlich Weltgeltung erlangen soll

Wenn das mal kein Omen ist: Der Bertelsmann-Konzern fuhr in Berlin ein, gab der mittelprächtig dahindümpelnden Truppe einen Trainer und diesem viel Geld, um Spitzenspieler einzukaufen – der Aufstieg gelang spielend. Doch nun – der Fußballklub Hertha BSC Berlin steht inzwischen wieder auf einem Abstiegsplatz – gibt es Zoff zwischen dem Konzern und den Vereinsvormännern. Bertelsmann, heißt es, will unter Umständen das Geld wiedersehen.

Bei der Berliner Zeitung ist das natürlich alles ganz anders. Die Unterschiede beginnen schon damit, daß der Chefredakteur der Zeitung unter Aufstieg etwas ganz anderes versteht, was der von der Verlagstochter Gruner + Jahr (G+J) im letzten Jahr in das einstige SED-Blatt geholte Österreicher Michael Maier folgendermaßen illustriert: Er geht an einen Altpapierkarton, fischt Le Monde heraus und die Neue Zürcher, erwähnt La Republicca und legt seine neue Berliner Zeitung dazwischen, wie sie von heute an erscheinen wird. „Das ist doch dieselbe Familie“, schwärmt Maier, „das ist stark international“. In einer anderen Ecke hat Maier einen weiteren Schrank stehen, er birgt „alle deutschen Regionalzeitungen“. „Grauenhaft“, sagt er.

Damit wäre der Abgrund bezeichnet, über dem der Mann mit seiner Berliner Zeitung balanciert – von nun an ohne Netz. Seine Mittel: eine umfangreiche Transferliste, die von FAZ bis Bild reicht, etwa 35 G+J-Millionen (1996–98) und das neue Layout, das tatsächlich sehr elegant sein könnte, würde es etwas weniger von Pünktchen, Strichen und Infographiken wimmeln. Maier sagt ganz bescheiden, es gehe ja nur darum, „eine gute Zeitung zu machen“. Ja, und natürlich darum, „langfristig mal irgendeine nationale Bedeutung zu haben“. Mehr nicht.

Plötzlich wird in der Chefetage diesbezüglich sogar wieder von der Washington Post gesprochen. Jahrelang hatten sich die Zeitungsmacher aus der Karl-Liebknecht- Straße Spott anhören müssen, nachdem Erich Böhme 1990 leichtsinnig die Parole ausgegeben hatte: „Wir wollen die deutsche Washington Post werden.“ Der erste Mann, den G+J damals nach der Übernahme der Berliner Zeitung gen Berlin entsandt hatte, hatte dann doch ein eher dröges Heimatblatt für die Ostberliner Neubaubezirke daraus gemacht. Die Auflage befindet sich seitdem im Sturzflug (derzeit ca. 210.000). Was einerseits daran liegt, daß in der DDR-Kapitale, wo mehr Menschen Zeitung lasen als im Westen üblich, die Quote in der Berliner langsam auf Westniveau schrumpft. Andererseits vermochte die Berliner, während sie noch von nationaler Bedeutung träumte, es nicht einmal, die Medienmauer in den Westen der Stadt zu überwinden. Dort dominieren einstweilen Springers bodenständige Morgenpost (Auflage ca. 165.000) und der bildungsbürgerliche Tagesspiegel des Holtzbrinck- Konzerns (ca. 130.000). Drei der fünf größten deutschen Pressekonzerne teilen sich somit den Berliner Markt, einige sagen, sie kämpfen verbittert darum.

Dabei ist keiner von ihnen weit vorangekommen. Der Tagesspiegel schreibt bei insgesamt stagnierender Auflage jedes Jahr zweistellige Millionenverluste. Weder er noch die Morgenspost erreichten jemals nennenswert Leser auf der anderen Seite des roten Striches, der heute den Verlauf der Mauer markiert – und fanden sich schließlich damit ab.

Ähnlich hätte es auf der anderen Seite die Berliner halten können, die trotz ihres Leserschwunds vorläufig noch jährlich um 12 Millionen Mark für die Hamburger Verlagskasse abwirft. Doch die G+J-Marktforscher errechneten, daß ihrem Berliner Flaggschiff dann auf Dauer nur ein Dahinvegetieren als Milieublatt blüht. Würde zudem die sogenannte „Haushaltsabdeckung“ des Ostens mit Zeitungslesern tatsächlich auf Westniveau rutschen, so rechneten sie vor, müsse man sich mittelfristig auf weitere Auflagenverluste von an die 50.000 Exemplaren einstellen. Auf der anderen Seite warnten Experten: Für jeden potentiellen Westleser, den man mit einer Verwestung gewinnen könne, vergraule man möglicherweise ein halbes Dutzend Ost-Stammleser.

Die Hamburger Manager taten, wofür sie in den letzten Jahren nicht eben bekannt waren: Sie setzten auf Risiko und holten Maier. Der feuerte 45 der 170 Redakteure und warb 55 neue. Die Tabula rasa war einmalig, Maier nennt das Ergebnis einen „Quantensprung“. Er baute sich eine Zeitung zusammen, wie einer, der ohne Rezept einen Kuchen backt, alle Lieblingszutaten zusammenrührt und schaut, was passiert. Maier selbst sagt, die Sache funktioniere, „wie ein Gugelhupf-Rezept“. So kaufte er fürs Feuilleton im großen Stil bei der FAZ ein, für Sport und Bonner Politik bei der Süddeutschen. Den Lokalteil versorgte Maier mit Bild- und BZ-Boulevardisten, die Meinungsseite redigieren ehemalige taz-Kräfte. Kein Wunder, daß das explosiv wurde, und zu originellen Verbindungen führte: Das Gros der Ostredakteure, das nun unter West-Ressortleitern arbeitete, traf sich mit den FAZ- und taz-Kräften zum Aufstand gegen die Boulevardisierung des Lokalen. Ex-Bild- Mann Ulf Goettges, neben Ex- DKP-Volkszeitungs-Redakteur Franz Sommerfeld Maiers Stellvertreter, mußte zurückrudern.

Zumindest konnte keiner sagen, daß es in der Berliner Zeitung nicht spannend geworden war: Es hatte seinen Reiz, die feingeistigen Aufsätze des vormaligen FAZ-Literaturchefs Gustav Seibt zwischen Wurst- und Möbelannoncen zu studieren. Auf der Kommentarseite dürfen Boulevardkräfte ungelenk gnadenlose Abschiebung und Linksliberale unbeeindruckt gnadenlose Humanität fordern. Und im Lokalen treibt ein ehemaliger FDJ-Funktionär eine völlig humorfreie Klatschkolumne zu unfreiwilligen Blüten. Ob die Rezeptur aufgeht, ist ungewiß. Seit Tagen prasseln belehrend-beschwichtigende Artikelchen auf die Stammleserschaft ein, man möge doch bitte nicht gleich abbestellen.

Das zeigt, daß nun den Verlagsleuten selbst etwas bang ist. Auch wenn Verlagschef Andreas Albath angibt, es gehe um eine „langfristige Strategie“, für die man mittelfristig weitere Leserverluste in Kauf nehme, wird allenthalben gerätselt, wie lang der Atem von G+J wirklich reicht. In den nächsten fünf Jahren, so Albath, „muß ein Entwicklungsprozeß zu beobachten sein“, in die Verlustzone dürfe das Blatt nicht rutschen.

Michael Maier macht sich da keine Illusionen: Wenn die Hamburger Verlagsmanager in den nächsten Jahren „kommen und sagen, es geht nimmer“, dann könne man halt auch nichts machen. Damit wäre dem Mann immerhin schon etwas Bemerkenswertes gelungen: Nachdem sich die Redaktionsmanager jahrelang mit dem Einüben verlagskaufmännischer Floskeln beschäftigten, hat Maier mit seinem Primat des Journalistischen den Großverlag ein bißchen in die Defensive gebracht. Das ist doch mal was Neues. Lutz Meier