„Noch nie so im Rampenlicht gestanden“

■ Vor drei Monaten unterzeichnete er eine Hotelrechung mit dem Namenszug „Adolf Hitler“. Gestern stand der Musiker der Deutschen Oper Berlin vor dem Arbeitsgericht

Berlin (taz) – Verwundert schaute sich Gerd Reinke im vollbesetzten Gerichtssaal um. Dutzende von Kamerateams, Fotografen und Journalisten waren gekommen, um den Kontrabassisten der Deutschen Oper Berlin zu sehen, der vor drei Monaten während eines Gastspiels in Israel für Empörung und Schlagzeilen sorgte. Er hatte eine Hotelrechnung mit dem Schriftzug „Adolf Hitler“ versehen und hinzugefügt, Hitler werde die Rechnung bezahlen.

„Das ist kein Witz“, soll er dem Kellner gesagt haben. Zwei Tage später erhielt der 54jährige die fristlose Kündigung, gegen die er klagte. Gestern fand vor dem Arbeitsgericht Berlin die erste Verhandlung in Form eines Gütetermins statt. Der Musiker konnte den Rummel gar nicht verstehen. „Ich wußte nicht, daß so viel Interesse daran besteht“, sagte er. „Ich bin ein kleiner Musiker“, ergänzte der Kläger, der im schwarzen Hemd und grauen Anzug erschienen war. „Ich habe noch nie so im Rampenlicht gestanden.“ Ohne auch nur die geringste Regung von Unwohlsein ließ er das Blitzlichtgewitter über sich ergehen. Lächelnd blickte der leicht untersetzte Mann mit Vollbart und schütterem Haupthaar in die Kameras und erfragte die Sendezeiten.

Wie zu erwarten, kam es gestern zu keiner Schlichtung. Während die Deutsche Oper Berlin nach wie vor an der fristlosen Kündigung festhält, sprach der Anwalt des Klägers, Peter Hantel, von einem „Kardinalproblem“: Sein Mandant habe bis heute keine Möglichkeit gehabt, sich gegenüber der Oper „in Ruhe“ zu äußern, deswegen sei die fristlose Kündigung — dazu ist eine Anhörung zwingend — unwirksam. Er räumte zwar ein „Fehlverhalten“ des Klägers ein. Doch das reiche nicht aus, um einen Musiker nach über zwanzig Jahren aus dem Orchester zu entlassen.

Die Deutsche Oper dagegen sieht die Forderung nach einer Anhörung als erfüllt an. Bei einem „ausführlichen Telefonat“ des Operndirektors mit dem Musiker, während dieser noch in Tel Aviv weilte, habe dieser „sofort zugegeben“, daß er „Adolf Hitler“ auf die Rechnung geschrieben habe, erklärte gestern eine Vertreterin der Senatskulturverwaltung. Statt von Alkohol und Erinnerungsschwächen, die er später angegeben hatte, habe er von einem „Witz“ gesprochen.

Der Kläger mußte sich von ihr die Frage gefallen lassen, ob er sich der Schwere der Vorwürfe überhaupt bewußt sei. Richter Hans- Jörg Stein brachte es auf den Punkt: „Wo ist der Filmriß, wenn man sich an einen Scherz erinnern kann?“ Allerdings räumte er ein, daß nicht allein der Umstand, Adolf Hitler auf einen Zettel geschrieben zu haben, entscheidend sei, sondern wie es dazu gekommen ist und was danach passiert ist.

Gerd Reinke, der bestritt, die Vorwürfe damals zugegeben zu haben, hat nach Angaben seines Anwalts an der Hotelbar zwei Bier und zuvor außerhalb des Hotels zwei kleine Flaschen Wein getrunken. „Man hätte mir sonst was vorwerfen können“, sagte der Musiker, „ich hätte mich nicht erinnern können.“ Nach dem geplatzten Schlichtungsversuch betonte Reinke, der Witwer ist und zwei Söhne hat, daß er „das nicht bewußt gemacht“ habe. „Das können Sie mir glauben.“ Auf einer für den 6. November anberaumten Gerichtsverhandlung wird das Gericht entscheiden, ob die fristlose Kündigung rechtens war. Barbara Bollwahn