Kapitalismus plus Grünanlagen

■ Arbeitsplätze oder ökologische Zukunft? Der rote Wirtschaftsexperte Werner Dobritz und der grüne Fraktionschef Willfried Maier streiten über Wirtschaft, Arbeit und Umwelt

taz: Die Handelskammer fürchtet eine rotgrüne Regierung wie der Teufel das Weihwasser. Wer sollte schon mal zittern?

Willfried Maier: Als ökologisch orientierte Partei wollen wir natürlich den Energieverbrauch reduzieren. Also: Den lokalen Markt mit den kleinen und mittleren Betrieben stärken. Die Handelskammer wird aber von den großen Unternehmen regiert. Und die energieintensiven unter ihnen würden in der Tat von uns nicht begünstigt. Wir wollen eine Modernisierung, und die kennt immer Verlierer und Gewinner.

Werner Dobritz: Eine rotgrüne Wirtschaftspolitik ist nur dann möglich, wenn die Förderung lokaler Wirtschaft und Industriepolitik nicht als Gegensatz formuliert werden. Bei Airbus in Finkenwerder werden wir früher oder später die Frage beantworten müssen, ob wir hundert Hektar am Mühlenberger Loch für eine Erweiterung zur Verfügung stellen. Das ist ein Augenblick, Herr Maier, wo sich ein Politiker nicht verdünnisieren kann.

Maier: Wir würden nicht akzeptieren, daß Arbeitsplätze immer und in jedem Fall Vorrang haben. Die ökologische Zukunftsfähigkeit ist für uns die größere Aufgabe.

Dobritz: Kapazitätserweiterung schafft Arbeitsplätze. Deswegen würde ich den Produktionsanteil natürlich hier und nicht anderswo in Europa haben wollen.

Maier: Niemand in der GAL geht davon aus, daß Hamburg aus der Weltökonomie aussteigt. Deshalb sind ökologische Fragen aber noch lange nicht nachgeordnet.

Dobritz: Deswegen dürfen die Grünen ja auch stolz darauf sein, daß die jetzige, siebte Elbvertiefung ökologisch so verträglich ist. Dagegen sind die sechs Elbvertiefungen davor richtiger Raubbau gewesen. Anstatt sich darüber ein bißchen zu freuen, denn das ist ja ein Ergebnis der ökologischen Debatte, schämen die Grünen sich.

Maier: Ich schäme mich überhaupt gar nicht.

Dobritz: Doch. Doch.

Maier: Man darf sich Erfolge ja wohl größer wünschen. Insbesondere dann, wenn der Bedarf für diesen schweren Eingriff mit vagen Zukunftsprognosen begründet wird. Wie viele Schiffe tatsächlich den Tiefgang brauchen, steht, ebenso wie auch der ökonomische Sinn, in den Sternen.

Große Schiffe, große Werften, große Reedereien. Die SPD sieht ihre Wähler nun mal bei den Beschäftigten großer Unternehmen.

Dobritz: Sich mit Großindustrien zu befassen heißt ja nicht, unkritisch mit ihnen umzugehen. Beispiel Blohm+Voss. Es ist unerträglich geworden, daß immer mehr unternehmerisches Risisko in Form von Bürgschaften auf den Staat abgewälzt wird. Nur noch für 30 Millionen bürgt der B+V-Mutterkonzern Thyssen selbst. Dieser Zustand zwingt uns zu einer Diskussion um die Aufgabenteilung zwischen Wirtschaft und Politik. Dennoch habe ich mich für eine Bürgschaft entschieden, obwohl Thyssen schon beim Transrapid das ganze Risiko auf den Staat ablädt.

Maier: Unerträglich ist vor allem, daß die Großen ihr Risiko abladen können, während die kleinen Betriebe diese Möglichkeit nicht haben. Da müßten wir mehr Risikokapital schaffen.

Dobritz: Das ist aber Sache der Banken, insbesondere der staatseigenen Hamburger Landesbank, die einen großen Teil ihres Gewinns aus der Schiffsbaufinanzierung und folglich dem Export von Arbeitsplätzen zieht. Die müßte stärker in die Verantwortung genommen werden. Hier haben wir es mit einer Mischung aus Purismus und konservativem Bankerverhalten zu tun, die ich nicht für möglich gehalten hätte.

Könnte man die sozialdemokratische Arbeitsmarktpolitik mit den Worten Kapitalismus plus ABM-Stellen zusammenfassen?

Dobritz: Nein. Im Mittelpunkt unserer Wirtschaftspolitik steht Beschäftigung. Dazu gehören staatlich geförderte ABM-Projekte – der sogenannte Zweite Arbeitsmarkt – ebenso wie Industrie- und Strukturpolitik.

Maier: Eine Schwerpunktsetzung auf den Zweiten Arbeitsmarkt ist eine Sackgasse. Sie muß steuerfinanziert werden und das Steueraufkommen hängt von der Stärke der Wirtschaft ab.

Macht der Zweite Arbeitsmarkt überhaupt noch Sinn?

Maier: Natürlich macht er Sinn. Möglich, daß über ABM-Projekte oft nur eine Zirkulation der Arbeitslosigkeit stattfindet. Trotzdem ist es für den Einzelnen wichtig, die Nähe zum Arbeitsprozeß zu behalten, weil jenseits von Arbeit sich die meisten Menschen das Leben nicht vorstellen können.

Dobritz: Wobei man die Instrumente natürlich immer wieder überprüfen muß. Ich bin ein großer Anhänger von Lohnkostenzuschüssen an Unternehmen, die einen Arbeitslosen einstellen. Das ist viel zu unterentwickelt.

Maier: Aber auch problematisch. Denn darüber finanziert man auch Mitnahmeeffekte. Die Firmen freuen sich über vom Staat finanzierte billige Arbeitskräfte, die womöglich andere ersetzen. Wir müßten Abgrenzungskriterien finden.

Wenn Beschäftigung für die SPD das Maß aller wirtschaftspolitischen Dinge ist, wie kommt es dann, daß die Wirtschaftsbehörde Millionen Mark Steuergelder in den Hafen pumpt? Dort schrumpfen die Arbeitsplätze dramatisch.

Dobritz: Hamburg muß sich auf seine strategischen Vorteile konzentrieren. Und diese Stadt ist aufgrund der Lage und des Hafens ein geborener Logistikstandort. Selbst ein grüner Wirtschaftsstandort wäre doch mit dem Klammerbeutel gepudert, wenn er diesen Vorteil nicht nutzt und ausbaut.

Maier: Die Rationalisierung im Hafen führt dazu, daß immer höhere Kosten immer weniger Nutzen bringen. Das ist für die leere Staatskasse untragbar, weil dort keine Arbeitsplätze mehr entstehen. Alle Häfen konkurrieren sich immer tiefer in diesen Widerspruch hinein. Ich werfe dem Senat vor, sich nicht mit Hilfe der EU-Kommission dafür zu engagieren, aus der Subventionsspirale rauszukommen.

Dobritz: Das ist kein hafenspezifisches Argument.

Maier: Doch. Unaufhörlich verdammt die Wirtschaft Subventionen. Wenn man das aber für den Hafen fordert, heißt es, man wolle die Vaterstadt ruinieren.

Dobritz: Der Staat hat nun einmal eine Infrastrukturaufgabe. Im internationalen Vergleich ist in den Hamburger Hafen realativ wenig Geld geflossen. Bei den Geldern ging es immer nur um die Funktionstüchtigkeit des Hafens wie das Ausbaggern der Elbe. Erst jetzt, das erste Mal nach 40 Jahren, werden große Summen in die Hafenerweiterung investiert.

Was kann denn die SPD gegen den Vorschlag der GAL haben, den Hafen wirtschaftlicher zu machen?

Dobritz: Der Hamburger Hafen ist wirtschaftlich.

Maier: Stimmt nicht.

Dobritz: Ich habe gar nichts gegen eine Verselbständigung des Hafens. Aber ich garantiere, daß am Ende die Erkenntnis herauskommen wird, daß der Hafen wirtschaftlich arbeitet.

Maier: Dann gehen wir die Wette doch ein! Ich halte dagegen: Wir werden auf enorme Einsparpotentiale stoßen. Erstaunlich ist doch, daß nicht nur die SPD, sondern auch die Handelskammer sich mit Händen und Füßen dagegen sträubt, das, was sie sonst immer fordert – eine Privatisierung – auf den Hafen anzuwenden. Wir fordern eine Verselbständigung. Nirgendwo sonst wird der Hafen von einem Amt verwaltet.

Dieses knackige Plädoyer für die Marktwirtschaft qualifiziert Herrn Maier geradezu zum Wirtschaftssenator, oder?

Dobritz: Da kenne ich bessere.

Den jetzigen etwa?

Dobritz: Dazu werde ich mich jetzt nicht äußern.

Immer mehr Industrieunternehmen und damit Arbeitsplätze verlassen Hamburg. Können wir uns da eine Erhöhung der Gewerbesteuer und schärfere Umweltauflagen überhaupt leisten?

Maier: Eine Absenkung ist völlig jenseits des Denkbaren. Eine dramatische Steuerentlastung der Unternehmen hat bereits stattgefunden. Der Haushalt liegt darnieder. Und da kann es durchaus möglich sein, daß man zum Notnagel Gewerbesteuererhöhung greifen muß. Was das Problem der Gewerbeflächen angeht: In der Umweltpolitik sind es heute nicht mehr in erster Linie die Industrieemissionen, sondern der Flächenverbrauch, wo etwas getan werden muß. Und eine große Metropole kann gar nicht anders, als sparsam mit Fläche umzugehen.

Dobritz: Eine Erhöhung der Gewerbesteuer würde den Standort psychologisch und politisch belasten. Der Hebesatz sollte bleiben, wo er ist. Umweltstandards müssen in jedem Fall durchgesetzt werden. Im präventiven Umweltbereich muß man sicher mehr Geld in die Hand nehmen als bisher. Bei allem Stolz unseres Umweltsenators: 20 Millionen für regenerative Energien sind Peanuts. Da sollte man etwas mehr hinlangen und etwas forscher rangehen.

Moderation: Silke Mertins