Erzählen – Spielen – Basteln Von Susanne Fischer

„Früher war alles besser!“ kreischt mir die Sozialrentnerin auf der Straße entgegen und steckt sich beide Zeigefinger in die Ohren für den Fall, daß ich widersprechen möchte. Ich glaubte bis eben eigentlich, in der Stadt sei alles besser, aber tatsächlich befinden wir uns gerade in der Stadt.

Allen, die denken, es sei früher alles besser gewesen, möchte ich an dieser Stelle mein Lieblingskochrezept vortragen. Keine Angst, es ist nicht Omas Kuchen mit den 60 Eiern aus der guten Zeit und auch nicht auseinanderfallende Gemüseklopse à la Hungerwinter 46, mit Griesschmalz bestrichen, oder der Steckrübeneintopf ohne alles. Mein Rezept stammt aus einer Fernsehzeitschrift der frühen sechziger Jahre, die auf einem Dachboden überlebt hat. Früher wurde doch nicht alles weggeworfen, weil man ja schon wußte, daß später alles schlechter wird, auch die Fernsehzeitschriften, und man folglich das alte und gute Programm für die schlechte Zeit aufhob. Ein Programm übrigens, in dem Einrichtungstips für die Gartenlaube einen nicht unwesentlichen Anteil der Sendezeit füllten und Veranstaltungen wie „Varieté – Varieté“ auch dem Zuschauer daheim einen schönen Einblick in Steptanz und Jonglierkunst boten.

Gong! Wir bereiten schmackhafte Möwennester. Dazu nehmen wir Filets von grünen Heringen und belegen sie mit Scheiben von Lachs. Da stutzt man das erste Mal, es waren die sechziger Jahre zwar die Zeit des unaufhaltsamen Reichwerdens, aber über Spargelspitzen in Kochschinken ging das beim Durchschnittsfernsehgucker nie hinaus. Deshalb dürfte es sich wohl um jenen SPD-roten Lachsersatz in Öltunke handeln, mit dem man notfalls alles belegen kann, auch Jonglierbälle und Steptänzer. Als nächstes benötigen wir hartgekochte Eier. Damit hat man uns die Sechziger gebracht; egal, ob beim Picknick mit Sand paniert oder beim Abendbrot als Modell Fliegenpilz von einer halben Tomate mit Mayonnaise-Stupsern behütet. Wird außer mir eigentlich noch jemand im Traum von Käse- Igeln verfolgt? Dann sollten wir die Selbsthilfegruppe „Häppchenweise“ eröffnen.

Wir wickeln nun Hering und Lachs um das hartgekochte Ei, „schlagen die Enden unter und stecken sie fest“. Meine Lieblingskindersendung in den Sechzigern hieß „Erzählen – Spielen – Basteln“, und so kochte man damals anscheinend auch. Das so hergestellte Symbol der zwar heringsstinkigen, aber doch durablen, eben hartgekochten Nachkriegsgesellschaft sollte in der Pfanne gut fettig gebraten, halbiert und schließlich im Angesicht von Peter Frankenfeld verzehrt werden.

Ob es Überlebende gab, läßt sich dreißig Jahre später nicht mehr recherchieren. Mit Grausen denke ich aber daran, was meine Neffen und Großnichten eines Tages von dem Eifer halten werden, mit dem wir auf Tomaten- und Mozzarellascheiben Buffet-Alpen rund um klebrige Tiramisu- Schneefelder aufschichten. „Sie glaubten, das sei so italienisch!“ werden sie kichernd erzählen und sich die mit Kaviar gefüllten Harzer-Käse-Kugeln in den Mund jonglieren, als gebe es nichts Schöneres auf der Welt. Außer Fernsehen natürlich, oder die neuen Stepschuhe auf Lachsersatz ausprobieren. Oder die Tante mit einem grünen Hering verhauen, weil sie immer von damals schwärmt.