Schlußakt mit und ohne Einheitslohn

■ Ein zweiter Fall BE? Desillusioniert gibt die Leitung der Schaubühne am Lehniner Platz in Berlin die Auflösung der Verträge für sein Starensemble bekannt

Vor wenigen Tagen erst sagte Andrea Breth, künstlerische Leiterin der Berliner Schaubühne am Lehniner Platz, ihre Produktion von „Dantons Tod“ ab – zwei Wochen vor Probenbeginn. Dabei geht es nicht um künstlerische Zerwürfnisse, sondern um grundlegende Auseinandersetzungen, die zwischen Ensemble und Breth seit längerer Zeit schwelten und nun eskalierten. Am Montag entschied sich das Theater für eine tiefgreifende Strukturreform: Das derzeit 30köpfige feste Ensemble wird aufgelöst, die laufenden Verträge werden zur Disposition gestellt.

Aufgelöst ist damit auch das Mitbestimmungsmodell des Ensembles aus dem Geist der 68er, einst Vorbild für manch andere, oft weniger erfolgreiche Bühnen. Doch in Zeiten, da man bei Film- und Fernsehen Tagesgagen erzielen kann, die in keinem Verhältnis zum ideologisch begründeten Einheitslohn der Schaubühne stehen, wollten sich auch die großen Aktricen und Akteure der legendären Aufbruchsjahre – von Otto Sander über Bruno Ganz bis Udo Samel – den finanziellen Erfolg nicht länger versagen. Mehr und mehr beschränkten sie sich auf Gastverträge, um TV- und Filmproduktionen wahrnehmen zu können. „Wenn künstlerische Leitung letztendlich nur noch bedeutet, Besetzungs- und Urlaubswünsche von Schauspielern zu berücksichtigen, und damit die Realisierung vereinbarter Projekte immer schwieriger wird“, heißt es in der Erklärung von Geschäftsführer Jürgen Schitthelm und Andrea Breth, „stellt sich insbesondere für den Regisseur im Leitungsteam die Frage, ob das System überholt ist.“ Was an Stadt- oder Staatstheatern mit großem Repertoire und Personal noch zu organisieren sei, wirke sich im Kleingefüge der Schaubühne mit ihren längeren Vorstellungsserien gravierend aus.

Zwar ist es Andrea Breth in den fünf Jahren ihrer bisherigen Amtszeit gelungen, die meisten der großen Schauspieler der ersten Dekade der Schaubühne gastweise wieder ans Haus zurückzuholen, etwa Jutta Lampe, Edith Clever und Libgart Schwarz; aber unter den alten Konditionen sind diese längst nicht mehr zu halten. Hartnäckig und letztlich glücklos versucht Breth, den Mythos des aufeinander eingeschworenen und ganz der Kunst verpflichteten Schaubühnen-Ensembles aufrechtzuerhalten. Was sie ihren Akteuren abverlangte, war völlige Hingabe. Auswärtige Engagements waren ausgeschlossen. In den ersten zwei Jahrzehnten – seit 1970 existiert ein festes Ensemble – waren diese außergewöhnlichen Produktionsbedingungen eines Kollektivs ein erfolgreiches Experiment. Doch inzwischen mußte das Leitungsteam Schitthelm/ Breth einsehen: „Im Laufe der letzten Jahre konnten und wollten immer mehr Mitglieder (des Ensembles) die damit verbundene zusätzliche Arbeitsbelastung nicht mehr leisten.“ Kann man es ihnen verdenken? Kann man ein Kollektiv erzwingen und Ensemblemitgliedern versagen, ihren Marktwert andernorts einzusetzen?

Die Schaubühne wird künftig Verträge über einzelne Projekte abschließen. Dies lasse längerfristige Engagements zu, „wann immer sich Schauspieler auf eine Abfolge von Stücken einlassen wollen“. Diese Form sichere allerdings auch den Regisseuren „die für die künstlerische Arbeit erforderliche Ruhe und Konzentration“. Vielleicht bringt diese Entscheidung dem letzten großen Theater im Westteil Berlins ein stückweit Lebendigkeit zurück. Falls nicht, ist damit ein Mythos endgültig verblaßt, vielleicht stünde auch ein schleichender, erbärmlicher Niedergang an, ein zweiter Fall BE. „Dantons Tod“ findet an der Schaubühne nicht mehr statt. Die nüchterne Meldung der Pressestelle immerhin läßt hoffen: „Andrea Breth bereitet derzeit eine andere Arbeit vor.“ Axel Schock