In guter Mission von Peking vereinnahmt

■ Antje Vollmer wird von Chinas Tibet-Propaganda mißbraucht. Gleiches droht dem Menschenrechtsausschuß des Bundestags

Berlin (taz) – „Sehen heißt glauben.“ Mit diesen Worten zitiert die amtliche chinesische Nachrichtenagentur Xinhua (Neues China) die Vizepräsidentin des Deutschen Bundestags, Antje Vollmer, als sie am Samstag in der tibetischen Hauptstadt Lhasa ein Gefängnis besuchte. Laut Xinhua soll die bündnisgrüne Politikerin erklärt haben, die Gefängnisleitung sei wissenschaftlich und rational. Was Vollmer im Gefängnis gesehen habe, sei nach Xinhua anders als das, was sie zuvor über tibetische Gefängnisse gehört hatte.

Vollmer hat inzwischen gegen die Darstellung Xinhuas protestiert. Der auf ihren Wunsch zustande gekommene Gefängnisbesuch sei zur Rechtfertigung des chinesischen Gefängnissystems mißbraucht worden, ließ die zur Zeit in Nepal weilende Politikerin über ihr Bonner Büro verlauten.

Laut Xinhua habe ein Gefangener der Bundestags-Vizepräsidentin auf die Frage nach den Haftbedingungen geantwortet: „Das Leben hier ist gut.“ Darauf habe Vollmer zufrieden mit dem Kopf genickt und gesagt, daß sie gern wiederkommen wolle. Antje Vollmer hingegen sagt, sie habe den Eindruck einer eigens für ihren Besuch gestellten Situation gehabt und will auf die positive Darstellung des Gefängnisdirektors geantwortet haben: „Das klingt ja wie ein Märchen.“ Vor allem aber habe sie es abgelehnt, wie von der Agentur gewünscht, überhaupt eine Stellungnahme abzugeben.

Das hinderte die chinesische Propaganda nicht daran, am Montag noch einmal nachzulegen. Nach einem Treffen mit dem Vorsitzenden des Ständigen Ausschusses des Volkskongresses der Autonomen Region Tibet zitiert Xinhua Vollmer indirekt mit den Worten, die tibetische Kultur sei ein wichtiger Teil der chinesischen und der Weltkultur. Laut Xinhua soll Vollmer sich lobend über den Erhalt der tibetischen Kultur geäußert haben.

Eine Instrumentalisierung wie im Falle Vollmers droht jetzt auch einer siebenköpfigen Delegation des Bundestagsunterausschusses für Menschenrechte, die sich seit heute zu einem einwöchigen Besuch in Peking und Lhasa aufhält.

Die bereits im letzten Jahr geplante Reise war im Streit um die Tibet-Resolution des Bundestags von China abgesagt worden. Inzwischen hat Peking jedoch zugestimmt. „Die Gefahr, funktionalisiert zu werden, ist immer da“, sagte der stellvertretende Ausschußvorsitzende Volker Neumann (SPD) vor der Abreise der taz. Seiner Meinung nach versuche China, eine Normalisierung einzuleiten. Die Reise sei ein Zeichen der Öffnung. Neumann ist sich sicher: „Wir haben die Möglichkeit zu sagen, was wir denken. Wenn die Chinesen uns was vormachen, werden wir das merken.“ Doch Peking hat der Delegation weder gestattet, sich von versierten Korrespondenten deutscher Medien begleiten zu lassen noch eigene Dolmetscher mitzubringen. Das Programm sieht nur offizielle Kontakte vor. Die Delegation wolle eine von amnesty international zusammengestellte Namensliste politischer Gefangener überreichen und das Schicksal des von China entführten Panchen Lama ansprechen. Zwar hofft Neumann, auch jenseits offizieller Termine politische Gespräche führen zu können, doch wie er das in dem ihm fremden Lhasa ohne Dolmetscher unbemerkt machen will, bleibt sein Geheimnis.

„Es ist unmöglich für Ausländer zu kontrollieren, wie ihr Besuch von Peking dargestellt wird“, gibt Robbie Barnett vom Tibet Informations Netzwerk in London zu bedenken. „Das ist nicht schlimm im Hinblick auf die Öffentlichkeit im Westen, aber es hat einen großen Effekt auf die 1,2 Milliarden Chinesen und die 6 Millionen Tibeter. Für die ist es eine große Entmutigung.“

Barnett ist nicht gegen Politikerbesuche des von China kontrollierten Tibets, aber sie müßten extrem gut vorbereitet werden. Chinas Medien würden Tibet-Besucher als Unerstützer Pekings präsentieren. Gefängnisse würden für einen Besuch, wie ihn auch die Bundestagsdelegation plant, präpariert. „Alle politischen Gefangenen werden zuvor entfernt. Das Gefängnis sieht dann vielleicht sogar ordentlicher aus als eins in westlichen Ländern“, so Barnett. „Was ist von so einem Besuch zu erwarten?“

Ziel der Reise sei, einen Dialog über die Resolution des Bundestags zu führen, sagt der Bayreuther CSU-Abgeordnete Hartmut Koschyk. Die Funktionalisierung könne doch nur dann ausgeschlossen werden, wenn demokratische Abgeordnete überhaupt nicht mehr in autokratisch regierte Länder reisen würden. Um ihre Eindrücke zu präsentieren, plane die Delegation eine Pressekonferenz vor westlichen Medien in Peking. Auch über einen tibetischen Exilsender gebe es Möglichkeiten, dies nach Tibet zu verbreiten.

„Die Reise des Ausschusses ist eine Ermutigung für die Tibeter“, meint Koschyk. „Schließlich ist der Ausschuß von exiltibetischer Seite darum gebeten worden.“ Dies wird von der Genfer Vertretung der tibetischen Exilregierung bestätigt. Ein Sprecher bezeichnete die Xinhua-Meldung über Vollmers Gefängnisbesuch als „schweren Vorfall und als Mißbrauch der Politikerin“. Nach Meinung des Sprechers sei darauf zu drängen, daß sich Tibet-Besucher frei bewegen könnten. Wie im Fall Vollmer könnte bei der jetzigen Delegationsreise Pekings Propaganda wieder auf ihre Kosten kommen. Sven Hansen