Hamburger Richter badet nicht gern lau

■ Die Justiz habe ein „Herz für Verbrecher“, findet Amtsrichter Ronald Schill und greift durch. Gestern verurteilte er einen Inder wegen Paßfälschung zu zweieinhalb Jahren Knast

Hamburg (taz) – Hamburgs Richter, davon ist Ronald Schill überzeugt, haben ein Herz für Verbrecher. Die Justiz, so schimpft der Amtsrichter seit Wochen, sei „zu lasch und zu lau“. Um das zu ändern, geht Schill mit gnadenlosem Beispiel voran und verurteilte einen Inder, der sich mit falschen Angaben einen Paß und die Aufenthaltserlaubnis erschlichen hatte, zu zweieinhalb Jahren Knast. Die Staatsanwaltschaft hatte acht Monate auf Bewährung beantragt; sie erwägt, gegen das Urteil Rechtsmittel einzulegen.

Amtsrichter Schill ist in der Hansestadt eine schillernde Figur. Sein Etikett „Richter Gnadenlos“ handelte er sich im vergangenen Herbst ein. Da wollte er eine psychisch kranke Frau zweieinhalb Jahre hinter Gitter schicken – weil sie den Lack an parkenden Autos angekratzt hatte. Damals war die Staatsanwaltschaft zugunsten der Frau in die Berufung gegangen. Vor wenigen Wochen dann ließ der forsche Rechtsprecher einen wegen gefährlicher Körperverletzung angeklagten kranken Rentner im Saal verhaften und ins Gefängnis stecken. Der Grund: Fluchtgefahr. „Jeder Angeklagte muß befürchten, daß ihn der Richter auf dem Privataltar seiner Abschreckungsstraferei opfert“, warnte der Republikanische Anwältinnen- und Anwälteverein.

Doch offenbar genießt der 38jährige die Rolle des Enfant terrible. Vergangene Woche landete Schill einen Rundumschlag. Mörder, so beschwerte er sich in einem Zeitungsinterview, würden nicht mehr zu hohen Freiheitsstrafen verurteilt. Die verhängten Strafen stellten eine „himmelschreiende Ungerechtigkeit“ gegenüber dem Leid der Opfer dar. Angeklagte Schwerverbrecher könnten die abstrusesten Schutzbehauptungen vorbringen, sie würden ihnen geglaubt. Die Rechtsprechung sei „lebensfremd“, die Staatsanwaltschaft zum „zahnlosen Papiertiger“ verkommen. Kurz: Die Hamburger Justiz habe ein „Herz für Verbrecher“.

Diese Kritik brachte ihm nicht nur öffentliches Aufsehen, sondern auch ein disziplinarrechtliches Verfahren ein. Laut Justizsenator Wolfgang Hoffmann-Riem könnte der Rechtsprecher das „richterliche Mäßigungsgebot“ verletzt haben. Zur Mäßigung scheint Schill aber keinen Anlaß zu sehen, wie sein jüngstes Urteil zeigt. Der verurteilte Inder hatte ein Geständnis abgelegt. Dennoch verhängte Schill die hohe Gefängnisstrafe, wieder einmal unter Verweis auf seine besondere Mission, die Hamburger Justiz auf den rechten Pfad zurückzuführen. Diesmal, so seine Urteilsbegründung, wolle er „ein Signal gegen das erschreckende Ausmaß des Asylmißbrauchs“ setzen. Elke Spanner