Blutgrätschen aus dem Netz

■ Der wahre Werder-Fan kann seinem Verein 24 Stunden am Tag nah sein: im Internet. Auf der Werder-Homepage kann man Zorn abladen und neue Trikots ordern

Gerücht: Der vormalige WerderTrainer Dixie Dörner wurde aus dem Internet abgeschossen. Seit dem Beginn der neuen Saison (seitdem selbst treue Werder-Fans ihren grün-weißen Schal lieber im Handschuhfach ließen) prasselten dermaßen zahlreich wütende und ätzende elektronische Briefe auf die Homepage von Werder Bremen nieder, daß der Geschäftsführung gar keine andere Wahl blieb, als Dörner in die Wüste zu schicken.

Wahr ist immerhin: Das Engagement der weltweit verstreuten Fans, die eine Maus bedienen können, war in den letzten Wochen überwältigend. Und: Manager Willi Lemke schaut regelmäßig in den elektronischen Werder-Briefkasten, um sich einen Überblick über die Stimmung zu verschaffen. Sagt jedenfalls Hermann Westermann, und der muß es wissen, denn der „Mediendienstleister“aus Bruchhausen-Vilsen produziert sowohl das Vereinsmagazin als auch die Homepage des SVW.

Für diese Homepage (http://www.werder-online.de) war der mißglückte Saisonstart jedenfalls ein Segen: Mit derzeit etwa 1.000 „Besuchern“am Tag ist die Werder-Homepage ein Renner. Es ist eine alte Internet-Wahrheit, daß das Netz da am besten funktioniert, wo es interaktiv wird. Und wenn die Aktivität der Massen auch in einem Ausbruch heiligen Zorns besteht.

Nun bietet werder-online beileibe nicht nur im sogenannten „Gästebuch“Raum zum Echauffieren. Geplagte Eltern können ihren quengelnden Kindern via Internet das neue Trikot mit dem eingewechselten Hauptsponsor vorne drauf bestellen.

Man kann in der aktuellen Punktetabelle herumspazieren und Vergleiche mit dem Vorjahr anstellen. Man kann schon vor dem Drucktermin bahnbrechende Beiträge des neuen „Werder Magazins“studieren. Und man kann – gegen eine Bearbeitungsgebühr von maximal 9 Mark pro Einzelkarte – Tickets bestellen, selbst von Auswärtsspielen. Eigentlich sollte es auch eine lebhafte Quatschecke zum „Chatten“geben, zum Live-Plaudern im Internet; doch gewisse Softwareprobleme von T-Online verhinderten bislang größere Erfolge. In einigen Wochen aber soll es soweit sein: Jeder, der (kostenlos und unverbindlich) einem sog. „Online-Club“beitritt, darf dann mit Fans aus Australien und den USA über eine vermasselte Flanke von Marco Bode debattieren oder – höchstes Glück – zu bestimmten Terminen mit einem Balltreter persönlich chatten („Promi-Chat“).

Fast 800 einzelne Seiten kann man über die Werder-Homepage aufsuchen; jede einzelne will gewartet sein und gepflegt, denn es gibt für den Internet-Surfer nichts Häßlicheres als antiquierte Pages. Fünf Stunden täglich kostet das die Bruchhausener Dienstleister, ein Zuschußgeschäft oder, wie Chef Westermann sich ausdrückt, „ein Referenzobjekt“. Meint: Mit dieser Homepage zeigt Westermann potentiellen Kunden, wie schön Internet sein kann.

Auch das „Gästebuch“wird ausgemistet, Nazidreck und Pornografisches fliegen ebenso raus wie härtere Verbalinjurien gegenüber Spielern zum Beispiel. „Aber“, so Westermann, „sachliche Kritik – auch an Werder – bleibt drin. Wir gehen da sehr weit.“

Und was kann Willi Lemke aktuell über die Stimmung im Lande erfahren, wenn er seine E-Mail studiert? Jubel Jubel Jubel, wo man hinschaut. „Werder ist wieder da! Werders Willenkraft gewinnt! Eine gewisse Motivation war zu erkennen! Der Knoten ist geplatzt! Der Gigant ist erwacht! Es war ein kurzer böser Traum!“Oder einfach: „Siiiiiiiiiiiiiieg!“Besser kann die BILD auch nicht titeln. Doch daneben gibt es viel Mahnendes: „Man sollte jetzt die Jungs mal in Ruhe lassen.“Und: „Faselt jetzt bloß nicht schon wieder vom UEFA-Cup-Platz! Das Saison-Ziel heißt: Klassenerhalt!“Und natürlich die Trainerfrage. Trend: „Auf KEINEN Fall Maggath!“Lieber Sidka („so hart und menschlich“). Und, lieber Lemke: bloß nicht „den neuen Cheftrainer übers Knie brechen!“ BuS

Und hier noch ein Hinweis für alle Insider, die sich auch wundern, daß die Werder-Homepage nicht einfach werder.de heißt: Da war irgend jemand schneller als Werder (was ja vorkommen soll) und hat sich diesen Namen reserviert, vielleicht, um einmal reich zu werden. Doch immerhin ist dieser Jemand so nett, verirrte Fans zu Werder weiterzureichen. Mithin: Der Internetkontakt mit dem SVW kommt auch via http://www.werder.de zustande.