■ Nachschlag: Mit Blümchen wohnen? Ein Plädoyer für und gegen das Umziehen
Nachschlag
Mit Blümchen wohnen? Ein Plädoyer für und gegen das Umziehen
Manchmal träume ich schwer – und dann denk' ich, es wär' Zeit, zu bleiben und etwas ganz anderes zu tun. So vergeht Jahr um Jahr, und es ist mir längst klar, daß – ja, was eigentlich? Daß es zum Beispiel von entzückender Naivität war zu glauben, in Berlin würde man mit einem sehr knappen Tausender über die Runden kommen. Gewiß reicht es immer ums Eck, doch spätestens bei der Frage nach einer halbwegs passablen Unterkunft geht es zu wie einst bei Michael Schanze: Eins, zwei oder drei – du mußt dich entscheiden, drei Übel sind frei. Als da mit unserem Duisburger Lieblingssongwriter Tom Liwa wären: die Dämonen in deiner Küche, die Nazis unter deinem Bett oder die Schweine im Klo auf halber Treppe.
Dabei ist die Beschaffung preiswerter Wohnmöglichkeiten das geringste Problem. Doof sind immer nur die Begleitumstände. Kaum hat man zum Beispiel nach den üblichen Untermieten den Tip mit der herzensguten Frau Biehler von der WIP bekommen („Sie wollen auch die fünfte Wohnung nicht? Junger Mann, wir sind hier nicht bei Wünsch dir was!“) und hält freudig den Mietvertrag für eine Wohnung in der Kollwitzstraße in der Hand, stellt sich heraus, daß leider alle Fenster auf die ehemalige Dimitroff gehen und vor dem Haus ein Schlagloch ist. Jeden Morgen um sechs von dieselgetriebenen Dreißigtonnern aus dem Bett gerüttelt zu werden ist nun nicht jedermanns Sache, und anstatt sich in aller Ruhe etwas Nettes zu suchen, landet man hastig auf der Friedrichshainer Südseite, wo sich Narva und Ostkreuz gute Nacht sagen. Zwei nette Zimmer, Klo in der Wohnung und sogar eine Badewanne unter der Spüle. Allein die Lage! Zweiter Hinterhof mit Blick auf den dritten, auch das ist gewöhnungsbedürftig.
Da es grundsätzlich überall besser ist, wo wir nicht sind, hilft auch der Umzug in den ersten Hof nebenan nicht. Es muß schon Grünau sein, was nicht nur jwd, sondern auch kvKW liegt – kurz vor Königs Wusterhausen. Zwanzig Meter zum Wasser, zweistöckiger Altbau, Riesenzimmer – nur leider vorerst ohne eigenes Klo. Was dann schnell zum nächsten Umzug innerhalb Köpenicks führt. Endlich alles perfekt: frisch renoviert, nicht zu teuer, Balkon, Telefon. Aber im einzigen Altbau so ganz im Neubaugebiet zu leben, jeden Abend bis ans Ende der Welt und morgens wieder zurück? Auch nicht so toll. Bleibt der Rückzug nach Friedrichshain in einen bereits halb entmieteten Hinterhof, der wahlweise von Blümchen (nebenan) oder den Böhsen Onkelz (Erdgeschoß) beschallt wird. Fazit: Dreimal umgezogen ist nicht nur wie einmal abgebrannt, ewig abgebrannt sein kann leider auch bedeuten, noch ein paarmal mehr umziehen zu müssen. Und spätestens am 31. 12. 97 geht wegen einer befristeten Untermieterlaubnis eh alles wieder von vorne los. Und so weiter und so fort, heute hier, morgen dort. Gunnar Lützow
Vorschlag
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen