■ Aus dem Tagebuch eines erfolgreichen Pilzpatienten
: Ein Leben ohne Prinzenrolle

3. Mai 96: A. war beim Heilpraktiker wg. Krampfadern. Diagnose: Pilzbefall.

5. Mai: A. sagt: Pilzkur klappt nur, wenn alle mitmachen. Süßigkeiten ab sofort verboten.

10. Mai: Meine Prinzenrolle ist verschwunden.

14. Mai: Zuckerverbot verschärft. Marmeladenstop beim Frühstück. Auf dem Weg zur Arbeit zwei Berliner mit Marmeladenfüllung gekauft und im Auto verdrückt.

15. Mai: A. hat Krümel auf Autositz entdeckt. Standpauke wg. Hintertreibens der Familientherapie.

21. Mai: Hefepilze in meinem Verdauungstrakt – durch Auspendeln aus zwölf Kilometer Entfernung diagnostiziert. Ich soll mit zum HP.

27. Mai: Neue Ferndiagnose (ausgependelt, bin natürlich nicht mit zum HP): Nicht nur meine Rückenbeschwerden, sondern auch meine schlechte Morgenlaune hängt unmittelbar mit den Hefepilzen zusammen. Mehl-, Hefe- und Kohlehydratverbot: keine Nudeln, keine Kartoffeln, keine Teigwaren, kein Brot.

1. Juni: Höllische Bauchschmerzen. Mit dem Notarzt in die Klinik (Verdacht auf Blinddarmdurchbruch). Diagnose: Blinddarm O.K. Prostatakrebs?

2. Juni: Schmerzen abgeklungen. Kamen von zwei rohen Kohlrabis, die A. als Mittagessen serviert hatte.

13. Juni: A. hat meinen Hanuta- Geheimvorrat entdeckt und vernichtet. Heißhunger. Karamellen aus unraffiniertem braunen Zucker (Verfallsdatum Oktober 1989) auf dem Dachboden gefunden. Mehr bitter als süß.

17. Juni: Der Kaffee ist alle. Bin sicher, daß heute morgen die Dose noch halb voll war. A. zur Rede gestellt: Pilzkulturen hatten den Kaffee befallen, so die Ferndiagnose des HP (Pendel).

22. Juni: Rückenprobleme und Morgenlaune schlimmer. A. schwört, bei ihr sei das Jucken am linken Unterarm bereits abgeklungen. Welches Jucken? Krampfadern unverändert.

26. Juni: Nach der Arbeit fünf Stück Schwarzwälder Kirsch und vier Tassen Kaffee mit Sahne im Café „Unter den Linden“. Zu Hause mich übergeben.

27. Juni 96: HP wertet meine gestrige Unpäßlichkeit als ersten Therapieerfolg: Pilzkulturen würden oral abgestoßen, sagt er lt. A. Mit so einem Schwachsinn verdient der Mann sich dumm & dämlich! Neid!!

1. Juli: Neue Rechnung vom HP. Skiurlaub gefährdet: Zu den horrenden HP-Honoraren kommen noch steigende Lebenshaltungskosten, denn biodynamische Rohkost mit Demetergütesiegel kommt jetzt teurer als früher Süßigkeiten, Bier, Wein, Mehlspeisen, Marmelade, Säfte, Brot und Brötchen, Fleisch, Wurst, Käse, Nudeln und Milchprodukte zusammen.

5. Juli: Ehekrise. Lt. A. bin ich schuld, daß die Kur nicht fruchtet (mangelnde Disziplin). Wenn ich nicht mitziehe, sei alles umsonst. Von wegen „umsonst“: Urlaub gestrichen, Darlehen aufgenommen.

22. Juli: Dispokredit gesperrt. HP fordert Honorar und droht mit Gerichtsvollzieher.

24. Juli 96: Auto verkauft, weit unter Wert. Suche zweiten Nebenjob.

3. September 97: Tagebuch vom letzten Jahr gefunden. War'n ruhige Zeiten! Heute wieder Megastreß: 20 Kunden: Kaffee, Kakao, Mais- und Buchweizenmehl, Hirse, Puddingpulver, Katzennahrung, Joghurt usw. auf Hefepilze, Schimmelkulturen, Amöbenbefall auspendeln, sechs Warzenbesprechungen, fünf Haarwurzelbeschwörungen! Abends Essen mit Anlage- und Steuerberater, Anwalt, Golflehrer und Innenarchitekt. Ausspannen erst wieder ab Freitag auf den Malediven (Kurz trip). Wetter, Luft, Aura, Cocktails werden allererste Sahne sein (Pendel!). Joachim Frisch