Hingis – Sampras, bitte

Die US Open? Milde um sich greifende Schlaffheit. Spannend wie Synchronschwimmen. Gähn. Laßt es gut sein  ■ Von Herrn Hefele

„Wir haben's kommen seh'n...“ Ganz im Ernst und ohne den großen Visionär heraushängen zu lassen: Wir haben's wirklich kommen seh'n. Kein pluralis majestatis. Mit „wir“ meine ich die, die in Wimbledon waren. Die leise absaufende Stimmung, die milde um sich greifende Schlaffheit bei Spielern und Publikum, die nachlassende Brisanz der großen Tennisereignisse. Wimbledon rettete sich noch mal über die Runden.

Bezeichnenderweise dank eines farblosen Tim Henman, der zumindest die Einheimischen auf Trab hielt, und dank des eine gewisse nostalgische Tragik verbreitenden, genial getimten Beckerschen Abschiedes. Und doch: Schon in Wimbledon reagierten die Fans auf einen in der Ehrenloge auftauchenden Stefan Edberg euphorischer als auf die meisten seiner aktiven Kollegen.

Die gute alte Zeit. Folge: Die offenen amerikanischen Tennismeisterschaften in New York locken kaum einen Hund hinter dem Ofen hervor. Nicht mal mehr meinen Nachbarn, Herrn Bauer, den ansonsten jedes Schleifchenturnier in Aufruhr versetzt.

Nicht mal mehr die Bild-Zeitung, die angesichts von Lady Dis Ableben ohnehin Besseres zu tun hat – ja nicht mal Dieter Nickles, DSF, der eigentlich per Profession vor Erregung vibrieren müßte. Sitzt er doch nahezu täglich vor der poppigen Stars-and-Stripes-Wand an einem befremdlich ins Studio ragenden Winkeltisch und lobt wildentschlossen die „Ballwechsel des Tages“. Wie traurig da der blonde Dieter unter seinem schmissig nach hinten gekämmten Ölhaar hervoräugt. Schon unter interessanteren Umständen kein Ausbund an Temperament, kann er nur unter Aufbietung aller ihm zur Verfügung stehenden Moderatorenkräfte so etwas wie zähe Begeisterung herstellen: „Gehen wir mal in einen Ball rein.“ Gähn. Laß gut sein, Dieter, ist nicht der Mühe wert.

Ist das der New Yorker Sommer, der heiß und klebrig auf der Anlage lastet? Die New Yorker Sommer waren immer schon heiß und klebrig. Ist es die Flushing- Meadow-Optik? Dieses matte Graugrün? Oder blicken wir auf den Grund eines tiefen, tiefen Tennis-Wellentales? Und sehen dort die letzten Vertreter einer ehemals vielfältigen und artenreichen Spezies zappeln?

Den schlappen Agassi, die entnervte Seles, den blutleeren Kafelnikow, die vorgealterte Huber? Kann irgend jemand diese langweiligen Spanier auseinanderhalten? Fragen Sie doch mal einen Fan, welches Duell ihn um den Nachtschlaf bringen würde. Müdes Schulterzucken: „Hingis gegen Sampras vielleicht.“ So witzig ist das gar nicht. Die beiden sind sich wenigstens inhaltlich gleichwertig. Was ihre Rolle im Circuit betrifft, ihre unantastbare Ausnahmestellung.

Pete Sampras ist auf der Höhe seines Könnens. Ja – obwohl Petr Korda ihn geschlagen hat. Sampras spielt Tennis mit der Abgeklärtheit eines tibetanischen Mönches; ökonomisch wie ein Stuttgarter Buchhalter. Normalerweise. Nebenbei ist er aber immer noch ein Mensch und als solcher gewissen Einflüssen unterworfen. Zum Beispiel ein paar Regenpausen zuviel (unterschätze mir keiner die Wirkung von Regenpausen). Nichts gegen den zähen und ehrenwerten Korda. Trotzdem hätte er normalerweise keine Chance gegen Sampras. Normalerweise...

Martina Hingis ist ein ähnlicher Fall. Sie hat ihre kleinen Ausrutscher, und doch – siehe oben. Hingis ist 16 Jahre alt. Wie soll das werden, wenn sie 20 ist? Als Mensch und Spielerin noch um einiges kompletter – wer soll sie schlagen? Anna Kournikowa sicher nicht, die hat ihre Schäfchen schon im trockenen und verströmt soviel spielerische Leidenschaft wie Rudolf Scharping politisches Charisma.

Steffi Graf? Das glaubt ihr wohl selbst nicht! Wer so weit weg ist von der Spitze, kommt auch nie mehr zurück. Noch nie waren die Nr. Einsen ihren Konkurrenten so weit entrückt. Die Navratilova hatte ihre Chris Evert, Borg seinen McEnroe, Edberg seinen Becker. Sogar Sampras hatte mal einen Agassi, der ihm im Nacken saß. Momentan hat er zirka 2.000 Punkte Vorsprung vor seinem direkten Verfolger. Chang? Spielt der noch?

Die großen Duelle gleichwertiger Spieler sind der Treibsatz. Tennis ist das Duell zweier starker Individualisten. Wenn die Individualisten fehlen, ist dieser Sport so interessant wie Synchronschwimmen. Und lockt keinen Hund hinter dem Ofen hervor.