Wir sind so diskriminierungsfrei

Bertelkirch-Telekom streiten sich mit der ARD über deren Zugang zur Digitalwelt  ■ Von Lutz Meier

Abends werden die Aushilfen im „ARD-Digizelt“ noch einmal auf die Argumentationslinie eingeschworen. Das Funkausstellungsvolk tröpfelt nur spärlich vorbei, und es ist nicht einfach, ihm die zum IFA-Auftakt gestarteten ARD-Digitalangebote schmackhaft zu machen. Denn die kann nur empfangen, wer Leo Kirchs Digitaldecoder d-box hat. Und das wird vorerst so bleiben. Ein sogenannter „Free-TV-Decoder“ ist nirgends in Sicht, und beim Kabelempfang will die Telekom die d-box-Technik gemeinsam mit den Medienkonzernen Bertelsmann und Kirch zum alleinigen technischen Standard machen.

Und: Das „Herzstück“ des (zunächst nur probeweise übertragenen) ARD-Angebots ist auf Kirchs Box nicht zu sehen: der elektronische Programmführer (EPG), eine Art virtuelle TV-Zeitschrift, die aber viel mehr kann. Denn die Idee des ARD-Angebots besteht darin, daß das laufende Programm auf den 16 ARD-Kanälen mit Schlagworten versehen wird, was dem Zuschauer erlaubt, sich ein ständig aktuelles Programm zu einem Thema zusammenzustellen. Freilich nur innerhalb der „ARD- Welt“ (3 Digitalprogramme, das Erste, alle Dritten sowie 3sat, arte, Phoenix und Kinderkanal). Ohne den EPG, sagt die ARD, sei ihr ganzes Programm nichts wert.

Telekom und Bertelkirch, die über ihre gemeinsame Firma Beta den d-box-Standard in Deutschland beherrschen wollen, haben der ARD zugesagt, bis Ende 1998 werde EPG vollständig zu sehen sein. Grund: die Technik. Der ARD-Vorsitzende Udo Reiter wittert „technisch verbrämte Behinderungen“, ein ARD-Verhandler hat den Eindruck: „Wir werden beschissen.“ Das Bertelkirch-Telekom-Konsortium spiele auf Zeit, so vermutet er, um zunächst selbst die Claims abzustecken. Man werde es mit einer Machtstellung wie der von Bill Gates im Computersoftwarebereich zu tun haben. Auch die Geräteindustrie klagt, den Herren der d-box sei es nicht eben eilig, die technischen Spezifikationen des Standards herauszugeben. Aber schließlich müssen Bertelkirch-Telekom erst einmal die eine Million d-Boxen loswerden, die Leo Kirch etwas vorschnell bei der finnischen Firma Nokia bestellt hatte.

Bertelkirch und Telekom argumentieren dagegen, die ARD habe auf die falsche Software gesetzt. Das Fehlen des Programmführers von ARD-Digital sei auch kein Unglück, da Bertelkirch ja einen weitaus umfassenderen Programmführer für alle Digitalprogramme anbieten werde, Kirchs „Toni“. Ihre technische Plattform, beteuert Kirch-Geschäftsführer Dieter Hahn, sei anderen Anbietern gegenüber so diskriminierungsfrei wie sonst nirgends: „Eine Struktur, die es erlaubt, daß das Kabel ohne jeden Einfluß der Programmanbieter bleibt.“

Solange diese Plattform dem privaten Programmanbietermonopol gehört, bezweifeln ARD-Vertreter das. Sie fordern, ARD/ZDF und andere konkurrierende Angebote müßten bei der Firma Beta dabeisein. Das haben Bertelkirch längst abgelehnt, wollen sie doch die Beute ihrer technischen Entwicklungsarbeit selbst aufteilen.

Natürlich geht es bei der Debatte, die nun auf der IFA hochkocht, gar nicht darum, ein paar 10.000 d-Boxen-Besitzer mit ARD-Digital zu beglücken. Bei der ARD glaubt man, über die technische Beherrschung könnte die Bertelkirch-Telekom-Konstruktion bei den Brüsseler Kartellwächtern am ehesten kippen – man leistet diesbezüglich heftig Lobbyarbeit. Vereinzelt wird sogar mit dem Verfassungsgericht argumentiert, das einst entschieden hatte, nur wenn es starke Öffentlich-Rechtliche gebe, sei Privatfunk überhaupt zulässig.

Der Streit um die Programmführer offenbart den großen Haken an dem Vertrag zwischen Bertelsmann, Kirch und Telekom. Die haben übrigens ihr Projekt noch nicht einmal in Brüssel und beim Berliner Kartellamt angemeldet, können also frühestens im Februar oder März 1998 starten.