Verlorene Perlen auf grünem Grund

Rosen statt Rittersporn! Aus Virginia Woolfs brisantem Anti-Gesellschaftsroman „Mrs. Dalloway“ wird bei der Regisseurin Marleen Gorris eine Art Seejungfernballade mit Vanessa Redgrave als gereifter Melancholikerin  ■ Von Gudrun Holz

Diese müßigen Gartenkorbstuhlgesellschaften mit dem Touch des distinguiert Zerstreuten kommen einem irgendwie bekannt vor. Junge Damen im hochgeschlossenen, weißen Kleid, meist im Profil und gedankenversunken. Daneben junge Männer, die Tweed tragend in Lektüre vertieft sind. Ringsherum die weitschweifigen Gärten englischer Land- und Herrenhäuser um die Jahrhundertwende, mit und ohne Efeu.

Hier hat Marleen Gorris eindeutig die einschlägigen Fotomotive kopiert, die Bloomsbury, jenem sagenhaften intellektuellen Bohemezirkel, dem die Schwestern Virginia und Vanessa Woolf vorstanden, zuzuordnen sind. Sie fungieren jetzt als ein scheinbar authentischer Rahmen für eine Literaturverfilmung.

Nach der Familiensaga „Antonias Welt“ (1995) hat sich Marleen Gorris („Die Stille um Christine M.“, 1982) mit ihrem fünften Spielfilm dem nicht unbedingt spannendsten Roman von Virginia Woolf, „Mrs. Dalloway“, zugewandt. Woolf, selbst gerade 24, schrieb die Geschichte um die knapp 50jährige Clarissa Dalloway, eine Londoner Gesellschaftsdame, als eine Art Anti-Gesellschaftsroman.

Zwar scheint sich die alternde Dalloway in „diesem Augenblick im Juni“ mit nichts anderem als dem Blumenkauf für ihre Abendgesellschaft zu befassen und wirkt eigentlich oberflächlich. Durch ein Netz von sentimentalen Erinnerungen entkommt die Figur aber stets der drohenden Hohlheit.

Vanessa Redgrave als Clarissa trifft ziemlich genau die fröhliche Selbstentfremdung der Rolle. Die Romanfigur sieht ihr Leben als etwas „von Geschwätz Umwuchertes, Entstelltes, Verdunkeltes, täglich in Verderbtheit, Lügen, Geschwätz Fallengelassenes“, das sie mit einer Versorgungsheirat und einem behaglichen Heim zu befrieden sucht.

Der Kniff allerdings, mit dem der Roman in der Nachkriegszeit 1925 brisant wurde, nämlich der Tod eines jungen Mannes (Rupert Graves als „Septimus“), der, verfolgt von einem Schatzgräbertrauma, Selbstmord begeht, wird zwar mit halluzinierenden Bildern von Bomben und Toten nachgestellt, verpufft aber als Effekt ohne Folgen. Viel zu sehr ist der Film damit beschäftigt, die Gefühlswindungen von Clarissa zu bebildern: Vanessa Redgrave näht verlorene Perlen auf ein dumpfgrünes Gewand, genannt „Seejungfernkleid“, das sie abends zu tragen gedenkt. Da kommt Peter Walsh (Michael Kitchen), ihre „Jugendliebe“, vorbei und läutet einen Erinnerungsreigen an „jenen Sommer vor dreißig Jahren“ ein.

Also zurück ins Bloomsbury- Dekor: Hier sehen wir die junge Clarissa – gespielt von Meinmannpicasso-Natascha McElhone – als scheues Wesen, das anmutig zwischen der Anbetung zweier Männer schwankt und zärtliche Umarmungen mit der besten Freundin Sally (Lena Headey) tauscht.

„Wo ist Clarissa? Wo ist diese Frau nur hin?“ wird im Roman wiederholt gerätselt. Im Film kommen solche existentiellen Nöte gar nicht erst auf. Wieso auch, alles ist schön, es gibt Rosen statt Rittersporn, die Sonne ist freundlich; zwar ist aus der impulsiven Sally eine matronenhafte Gestalt geworden, dafür dient der Selbstmord des jungen Mannes netterweise der pazifistischen Bewußtseinserweiterung.

Während sich der Film ansonsten linear an der Romanvorlage orientiert, ist vom zwischen verschiedensten Befindlichkeiten fluktuierenden Stil der Vorlage voller Nebenbemerkungen, Fragezeichen und flüchtiger, in Klammern eingefügter Gedankensplitter wenig zu finden. Frontal und behäbig wird das Dallowaysche Tagwerk geschildert, werden regelmäßig die erwarteten Rückblenden eingebaut und kommt der Film als Ganzes recht träge daher.

„Mrs. Dalloway“. Regie: Marleen Gorris. Mit Vanessa Redgrave, Rupert Graves u.a. GB 1996