Kreuzberg verweigert den Segen

Der Papst zieht nach Berlin. Seine Nuntiatur soll in einen Park zwischen Kreuzberg und Neukölln. Rebellische Anwohner wollen die letzte Nachtigall retten, um die geistlichen Herren fernzuhalten  ■ Von Constanze v. Bullion

Die Angelegenheit ist ernst. Sehr ernst. „Grundwasser, Denkmalschutz, Sicherheitsleute“, ruft Hartmut Dilke, „die ganze Unmöglichkeit, daß hier so was hingesetzt wird. Dagegen muß ganz entschieden vorgegangen werden!“ Der Mann spricht, als stünde er vor Millionen. Im Nacken schwitzt er, die Hände pflügen durch die Luft. Seine kleine Ansprache im vollbesetzten Wohnzimmer wächst sich zum flammenden Plädoyer aus, am Ende applaudiert die ganze Runde. Dilke hat's geschafft. Er ist aufgenommen in die Bürgerinitiative „Volkspark Hasenheide“, Untergruppe Organisation. An vorderster Front darf er fortan kämpfen: gegen Gott und die Welt – und vor allem gegen den Papst.

Denn der will nach Berlin- Kreuzberg ziehen. Besser gesagt: in die Hasenheide, den stadtbekannten Familienpark, der den Bezirk der gealterten Stadtrebellen vom benachbarten Neukölln trennt. Eine ehemalige Garnisonskirche im schönsten Kaiser-Wilhelm-Stil steht da zwischen alten Bäumen, vor dem Portal wacht ein eherner Weltkriegsflieger, hinterm Haus Gräber und Parkbänke. Da trifft sich die Drogenszene. Mittenrein also ins richtige Leben will der Vatikan seine Botschaft bauen, 1999 soll sie fertig sein. Denn mit dem Regierungsumzug verlegt die katholische Kirche ihre deutsche Nuntiatur nach Berlin.

In der Hauptstadt ist die Freude groß. Zumindest, wenn man Bodo Manegold glaubt. Der ist nicht nur evangelischer Laienprediger, sondern auch CDU-Bürgermeister des Bezirks Neukölln. Als „hohe Ehre“ hat er die Entscheidung der geistlichen Herren bezeichnet, den lieben Gott quasi persönlich in sein glanzloses Stadtviertel zu holen. „Multikulti hoch drei“ sei der geplante Standort der Nuntiatur, „jeder Neuköllner“ sei stolz auf die neuen Nachbarn. Bereitwillig hat der Amtmann deshalb ein paar bürokratische Hürden aus dem Weg gebaggert. Die Tatsache zum Beispiel, daß auf dem kirchlichen Terrain im Park eigentlich nicht gebaut werden darf.

„Das Grundstück ist nicht als Bauland deklariert“, weiß Christine Schmidt, „da kommt es unter Ausschluß der Öffentlichkeit zu Ungesetzlichkeiten.“ Daß gemauschelt wird und gemogelt beim Bau der Nuntiatur, daß Bürgerinteressen mit Füßen getreten werden, nur weil der Papst kommt, bestätigen alle, die sich im Wohnzimmer der Sozialarbeiterin versammelt haben. Vom „fliegenden Personal“ bis zum „Buchautor“ reichen die Berufe der Anwohner, die ihre angegrauten Häupter in dicke Aktenordner versenken. Mit deutscher Gründlichkeit wird hier protestiert: politisch korrekt, engagiert und vor allem ernsthaft.

Man will nicht länger als „Blümchenverein“ dastehen, erklärt die geborene Kreuzbergerin Christine Schmidt. Immerhin gebe es eine ganze Liste von Argumenten, die gegen die Nuntiatur sprächen. Für den Bau des Gebäudes, das drei bis vier Stockwerke hoch werden soll, müssen alte Bäume verschwinden. Die einzige Nachtigall weit und breit und ein Turmfalke würden vertrieben, der BUND fürchtet in einem eigens erstellten „Gutachten“ gar ums Kleinklima am Rand der Hasenheide. Die Anwohner sehen außerdem den öffentlichen Zugang zum Park und ihre eigene Bewegungsfreiheit in Gefahr. Denn daß die Sicherheit des neuen, italienischen Erzbischofs und seiner fünfzehn Mitarbeiter ohne Absperrungen, Videoüberwachung und Polizeipräsenz gewährleistet ist, glaubt keiner.

Man ist also losgezogen. 75 Gleichgesinnte kamen zum letzten Treffen, im Handumdrehen waren 760 Protestunterschriften gesammelt. Und das nicht, weil's der Papst ist, beteuert Christine Schmidt. „Wir sind nicht antiklerikal“, betont sie, schließlich ist sie selbst bei der evangelischen Kirche angestellt. Der Unternehmensberater Peter Müller-Schaefer sieht das anders. „Man muß doch mal klar und deutlich sagen“, meint er, „was die katholische Kirche für ein ein Machtapparat ist.“ – „Lichtscheu wie der Teufel!“ ruft ein Politologe in Fortbildung. Unerträglich, empört sich eine Dolmetscherin, seien vor allem „diese energetischen Schwingungen“.

Auf der anderen Straßenseite will man von schlechten Schwingungen nichts verspürt haben. Vor dem Altar der St.-Johannes-Basilika segnet Pfarrer Nikolaus Timpel ein frisch vermähltes Brautpaar. 61 Jahre alt ist der Herr mit dem akkuraten Seitenscheitel. Timpel stammt aus der DDR und weiß, was er Karol Wojtyla schuldig ist. „Polen, die Solidarność, die Mauer in Berlin“, sagt er, während er sich in der Sakristei aus einem halben Dutzend Kleiderschichten schält, „der Papst wird auch alle übrigen Mauern dieser Welt noch zum Einsturz bringen.“ Froh sei er, schiebt er nach, „daß der Einfluß dieses Papstes hier ein bißchen mehr rüberkommt“.

Also doch. Den ganzen Ostblock haben sie sich geholt, demnächst kommt Kuba dran. Und jetzt wollen die Horden des Heiligen Vaters mit Kreuzberg noch das letzte Reich der Ungläubigen erobern. Ein ehrgeiziger Plan, zweifellos. 340.000 Katholiken gibt es in der Hauptstadt, das ist gerade mal ein Zehntel der Bevölkerung, Tendenz fallend. Daß die Kirchenbänke nicht leer bleiben, verdankt Pfarrer Timpel vor allem den Ausländern in der Stadt. Kroaten füllen jeden Sonntag seine Basilika, mit Deutschen ist hier kein Staat zu machen. Der Chor ist „noch im Aufbau“, erzählt er. Die Jugendgruppe „bricht alle zwei Jahre zusammen“. Der Gesprächskreis für Ehepaare „findet zur Zeit nicht statt“. Und vereinzelte Obdachlose werden nur im Winter versorgt.

Als schützenswerten Hort von Armen und Flüchtlingen konnten die Anwohner ihre Kirche ohnehin nie sehen. Offenen Streit gibt es regelmäßig, wenn sich Hunderte von Kroaten sonntags vor der Kirche treffen. Rempeleien, zertrümmerte Autos, ein angekokelter Baucontainer: Jeder beschuldigt hier die andere Seite, den Frieden in der Straße zu stören. Und daß der Ärger andauern könnte, schwant inzwischen auch der Kirche. Pfarrer Timpel setzt auf den Siegeszug des Heiligen Geistes, aber gefaßt ist er auf alles. „Da kommt ein Zaun hin und fertig“, sagt er und macht eine großzügige Handbewegung in Richtung Straße. „Wenn man hier Angst haben muß, mit Steinen beworfen zu werden, dann wird natürlich abgesperrt.“

Gedämpft ist die Vorfreude auch an höherer Stelle. Er könne sich „schon vorstellen, daß einige Kreuzberger was dagegen haben“, gibt der bischöfliche Sprecher Andreas Herzig zu. Zumal sich auch der beste Feind aller Linken angekündigt hat, der Fuldaer Militärbischof Johannes Dyba. Auch der verlegt seinen Amtssitz nach Berlin – und wird dann regelmäßig in der Nuntiatur zu Gast sein.

Als Stachel im Fleich der Kiezkultur will sich die Kirche trotzdem nicht verketzern lassen. Freien Zugang für die Anwohner, Betten für die Obdachlosen, sogar die „Umsetzung eines Nußbaums“ hat man den Bürgern versprochen. Als neues Gemeindehaus sei ein „Flachbau“ geplant, verrät Pfarrer Timpel, „für den will der Bürgermeister von Neukölln uns ein Stück vom Friedhof zur Verfügung stellen“.

Bei der Bürgerinitiative gegenüber hat man den Kuhhandel zwischen Bezirk und Kirche satt. „Katholiken, CDU, Opus Dei – das ist doch alles eine Geschichte“, meint ein bärtiger Mittvierziger kopfschüttelnd. Bei rhetorischen Drohgebärden dürfe es jetzt nicht mehr bleiben. Aufgaben werden verteilt. Die Ökogruppe bemüht sich um Hilfe von Robin Wood. Einen „antifaschistischen Stadtplan“ hat eine Dame entdeckt, die die „Geschichte der Straße im Dritten Reich aufarbeiten“ will. Eine Gräbergruppe wird schließlich gegründet. Die soll Leute ausfindig machen, die die Bauherren wegen der „Störung der Friedhofsruhe“ verklagen.

Kein Zweifel: Mit dem „Blümchenverein“ ist nicht zu spaßen. Auch der Bürgermeister von Kreuzberg hat inzwischen die Protestresolution unterzeichnet, die dem Petitionsausschuß des Abgeordnetenhauses vorgelegt wird. Eine „gute politische Stimme“ habe man da gewonnen, heißt es bei der Bürgerinitiative, doch reichen wird das kaum. Denn nicht im linken Kreuzberg, sondern im proletarischen Neukölln des frommen Bürgermeisters Manegold wird die Schlacht entschieden. Zu dessen Terrain gehört das Kirchenareal offiziell. Und seinen Schäfchen, weiß eine Aktivistin, „ist das alles sowieso scheißegal“.

Unverhoffte Unterstützung erreichte die Bürgerrechtler jetzt von ganz anderer Seite. Rechtsanwalt Hans-Ekkehard Plöger bietet sich der Initiative als Fürsprecher an. Der gilt seit seinem wenig professionellen Auftritt im Politbüro- Prozeß allerdings als irrlichternder Paradiesvogel in der Juristenszene. Ob Plöger jetzt auch die Nuntiatur verhindern helfen darf, wird in der Bürgerinitiative „noch geprüft“.

Bis dahin müssen mindestens 250 Unterschriften her. Bei Straßenfesten, vor der Markthalle, sogar „mitten in der Höhle des Löwen“, in Neukölln, wollen die Verschwörer aus Kreuzberg ihre Autogramme sammeln. Und während Pfarrer Timpel sich drüben in der Sakristei auf den Heiligen Vater freut, geht bei Christine Schmidt der Klingelbeutel rum. Solide Überzeugungsarbeit kostet schließlich nicht nur Schweiß, sondern auch Geld.