Tiefe rote Löcher in der Krankenversicherung

■ Gesundheitsminister Seehofer muß das Vier-Milliarden-Defizit bestätigen. Er will weiter sparen. AOK fordert ein Sonderopfer des Westens für marode Ostkassen

Berlin (taz) – Die gesetzlichen Krankenkassen (GKV) stecken tief in den roten Zahlen. Bundesgesundheitsminister Horst Seehofer legte gestern die Halbjahresbilanz der GKV vor. Knapp vier Milliarden Mark fehlen den Kassen. Trotzdem sieht Seehofer die Lage optimistisch. Im selben Zeitraum hätten die Kassen ein Prozent weniger für Leistungen ausgegeben, sagte er. Zudem habe im ersten Halbjahr 96 das Defizit noch rund 7,3 Milliarden Mark betragen.

Nach Angaben seines Ministeriums leiden die Kassen weniger an steigenden Ausgaben, sondern vielmehr an einer tiefgreifenden Einnahmeschwäche. Im ersten Halbjahr fehlten den Kassen im Westen 2,8 Milliarden Mark, denen im Osten 1,1 Milliarden Mark.

Vor einem Jahr, als Seehofer die dritte Stufe der Gesundheitsreform verteidigte, wollte er von steigenden Arbeitslosenzahlen und daraus resultierenden Mindereinnahmen nichts wissen. Das System leide an der „Verschwendungssucht auf der Ausgabenseite“. Deshalb trimmte Seehofer die Kassen auf einen rigiden Sparkurs. Nach einer Aufstellung des Ministeriums gingen die Ausgaben im ersten Halbjahr 1997 im Bereich Soziale Dienste, Gesundheitsvorsorge um 35,1 Prozent, beim Krankengeld um 20,2 Prozent und bei den Kuren um 20 Prozent zurück.

Seine Spardevise propagierte Seehofer auch gestern. In seinem Papier heißt es: „Noch vorhandene Wirtschaftlichkeitspotentiale – etwa im Bereich des Zahnersatzes – müssen konsequent erschlossen werden.“ Außer geringeren Leistungen drohen den Versicherten auch Beitragserhöhungen. So forderte gestern die Allgemeine Ortskrankenkasse (AOK), die Beitragssätze in allen West-Krankenkassen um 0,1 Prozent anzuheben. Diese Mehreinnahmen sollen zur Deckung des Ost-Defizits in einen Solidarfonds fließen. Dies sei ein erster Schritt, um der auseinanderdriftenden Entwicklung der Beiträge zu begegnen, sagte AOK- Vorstandschef Hans Jürgen Ahrens. Seehofer lehnte gestern ein solches „Sonderopfer“ noch ab. Und Hansjoachim Fruschki, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Angestellten-Krankenkasse, fand es „mehr als dreist, wenn die AOKen versuchen, ihre finanzielle Misere auf dem Rücken der Ersatzkassen auszutragen“.

Das Kassendefizit nahmen Oppositionspolitiker erneut zum Anlaß, mit Seehofers Gesundheitspolitik abzurechnen. Der SPD-Gesundheitsexperte Klaus Kirschner machte Seehofer für die Misere der Kassen mitverantwortlich. Monika Knoche, gesundheitspolitische Sprecherin der Grünen, meinte, die Regierung sei „konzeptionell ausgebrannt“, nun fielen „Notoperationen“ im Gesundheitswesen an. Sie wiederholte die Grünen-Forderung, die Beitragsgrenze für die GKV auf 8.200 Mark anzuheben. Annette Rogalla