Juristen verlangen Abschaffung der RAF-Sondergesetze

■ 20 Jahre nach Schleyer: Anwälte fordern Aufhebung von Kontaktsperregesetz und Paragraph 129a

Berlin (taz) – Rechtsanwälte und Strafverteidiger fordern die ersatzlose Streichung der Sondergesetze, die in der Folge des Deutschen Herbstes 1977 zur Terrorismusbekämpfung verabschiedet wurden. Der Republikanische Anwältinnen- und Anwälteverein (RAV), die Vereinigung Demokratischer Juristinnen und Juristen (VDJ) und Teile der Vereinigung Berliner Strafverteidiger haben einen Aufruf verfaßt, in dem sie die Abschaffung des „Kontaktsperregesetzes“, des Paragraphen 129a („Bildung einer terroristischen Vereinigung“), das Verbot der Mehrfachverteidigung und die obligatorische Kontrolle der Verteidigerpost in Terrorismusverfahren verlangen. Erstunterzeichner sind die Bundesvorstände von RAV und VDJ, in denen rund 1.300 Juristen organisiert sind.

Anlaß für die Aktion der Juristen ist der 20. Jahrestag der Entführung und die spätere Ermordung des Arbeitgeberpräsidenten Hanns Martin Schleyer durch ein Kommando der Roten Armee Fraktion. Der Deutsche Herbst sei nicht nur ein historisches Datum, heißt es in dem Aufruf, „sondern die Ereignisse des Jahres 1977 haben unmittelbare Auswirkungen bis heute“. Die damalige „Verfestigung eines latent staatsautoritären Zuges und die auf Vernichtung eines ,Feindes‘ mit kriegerischen Mitteln angelegte Innenpolitik“ hätten die politischen und psychologischen Grundlagen in der Bundesrepublik verschoben. Die „damalige staatliche Reaktion unter anderem auf den bewaffneten Kampf der RAF drückt sich in geltenden Normen der Strafprozeßordnung, des Strafgesetzbuches und Nebengesetzen bis heute aus“. Die Anwaltsvereinigungen konstatieren, daß diese Gesetze noch immer gültig sind, obwohl sie keine Gültigkeitsberechtigung mehr hätten. Die Unterzeichner fordern deshalb den Bundestag auf, diese Regelungen abzuschaffen. Die Parteien sollten Gesetzentwürfe mit dem Inhalt der ersatzlosen Streichung in das Parlament einbringen.

Selbst Bundesjustizminister Edzard Schmidt-Jortzig (FDP) will die Gesetzgebung in der Folge des Deutschen Herbstes nicht weiter verteidigen. Das Kontaktsperregesetz, sagte er vor wenigen Wochen der taz, „ist nicht mehr nötig“, und über das Verbot der Mehrfachverteidigung „ließe sich reden“. Er vertritt allerdings auch die Auffassung: „Es ist dies realistischerweise kein Feld, auf dem es sich lohnt, ein großartiges Kämpfen anzufangen.“

Anderer Meinung ist die Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen im Berliner Abgeordnetenhaus. Sie brachte vor zwei Wochen den Antrag ein, Berlin solle eine Bundesratsinitiative „mit dem Ziel der Abschaffung“ der Paragraphen 129 (kriminelle Vereinigung) und 129a (terroristische Vereinigung) und deren Folgevorschriften ergreifen. Ende der siebziger Jahre, heißt es zur Begründung des Antrages, „haben SPD, FDP und CDU einen vermeintlichen Wettlauf um die innere Sicherheit begonnen. In verschiedenen Gesetzesinitiativen wurden seit 1974 die sogenannten Antiterrorgesetze verabschiedet. Die Bundesrepublik gelangte damit in der rechtsstaatlichen Gestaltung des Strafprozesses an ihren Tiefstpunkt. Die Unschuldsvermutung und das Prinzip der freien, unabhängigen Verteidigung wurde für diese Verdächtigten quasi abgeschafft.“ Zwanzig Jahre nach dem Herbst 1977 gehöre das Strafrecht „von solchem Gesinnungsrecht befreit“. Wolfgang Gast