Rechtzeitig abgebogen?

Immer weniger Frauen wollen in gewerblich-technische Berufe. „Rückschritt“, klagen die einen, „pfiffiges Kalkül“, nennen es andere  ■ Von Christine Holch

Die Airbus-Betriebsrätin Brigitte Basler ringt die Hände: „Wir wollen Mädchen ausbilden, aber es gibt weniger Bewerberinnen.“Sicher, 'ne Drei in Mathe und Physik sollte schon im Abschlußzeugnis stehen, aber das könne ja wohl nicht die Hürde sein.

Mädchen für Männerberufe zu begeistern, das war eigentlich das Thema der 80er Jahre. Damals starteten zahlreiche Programme. Und prompt stieg der Anteil weiblicher Lehrlinge in diesem Bereich: bundesweit von 2,2 Prozent im Jahr 1982 auf 5,1 Prozent 1994. Im vergangenen Jahr ließen sich in Hamburg zum Beispiel zwei Mädchen ausbilden zu Schornsteinfegerinnen, eins zur Schiffbauerin, sechs zu Radio- und Fernsehtechnikerinnen, 23 zu Kfz-Mechanikerinnen ... Tendenz rückläufig: Seit zwei Jahren sinkt der Anteil weiblicher Azubis in männerdominierten Berufen wieder – von 5,1 auf 4,8 Prozent im Jahr 1996.

Ein Drama? Zumindest sehr problematisch, fanden jetzt bei einem Hintergrundgespräch die Vertreterinnen von Handwerks- und Handelskammer, vom Airbus-Betriebsrat sowie den Projekten Dolle Deerns und Zahnrad e.V. Problematisch, weil in Männerberufen die Löhne höher sind. Viel höher: Eine Friseurin oder Damenschneiderin verdient im ersten Lehrjahr 408 Mark, ein Stahlbetonbauer dagegen um die 1400. Das setzt sich fort in den Gesellengehältern.

Die Offensive aus den 80er Jahren ist erlahmt, so die Einschätzung der Fachfrauen. Die Vorurteile in den Betrieben, vor allem den handwerklichen, seien geblieben. „Sicher, wer sich einmal überwunden hat, ein Mädchen auszubilden, ist begeistert“, berichtet Angelika Huntgeburth von den Dollen Deerns, „nicht nur wegen der üblichen Katalysatorenfunktion – Mädchen verbessern das Betriebsklima –, sondern vor allem, weil Mädchen mehr bringen als Jungs. Von ihnen wird einfach mehr verlangt.“

Doch wenn es an die Übernahme ins Gesellinnenverhältnis geht, schlagen den jungen Frauen die alten Vorurteile entgegen: „Sie werden doch nur schwanger, dann müssen wir wieder jemanden einlernen.“„Die Fluktuation der Männer ist viel größer, weil Männer häufig wechseln, um voranzukommen“, kontert Angelika Huntgeburth. „Es müssen also auch ständig Männer neu eingearbeitet werden.“Frauen dagegen, einmal aus dem Erziehungsurlaub zurück, seien firmentreuer.

Ebenfalls beliebter Einwand, vor allem im fast frauenfreien Bau- und Ausbaugewerbe: „Wir haben hier so viel schwere Arbeit.“Ein unsinniges Argument, sagt Marianne Lu-dewig von der Handwerkskammer. „Wozu gibt es Flaschenzüge und Rollwagen? Es ist für niemanden gut, schwer zu heben.“Frauen achteten da mehr drauf. Das kommt dann auch den Rücken der Männer zugute und damit der Firma. Oder die Sache mit den getrennten Sanitäranlagen. Barbara Beuys vom Senatsamt für die Gleichstellung seufzt: „Versucht eine Lösung zu finden, aber das kann nicht der Hinderungsgrund sein, ein Mädchen auszubilden“, sagt sie anfragenden Betrieben. In manchen ist der Waschraum eben zu bestimmten Zeiten für Frauen reserviert.

Da bleibt viel Überzeugungsarbeit zu leisten – auch an den Eltern. Wird es ernst, weichen viele von den zuvor hoch bewerteten Berufswahlkriterien wie hohes Einkommen oder Karrierechancen wieder ab und bevorzugen weniger aussichtsreiche Berufe wie Arzthelferin oder Verkäuferin, weil die eben „weiblicher“sind. Nicht ganz zu Unrecht: „Mädchen müssen gegen die Vorurteile in sich selbst und in der ganzen Gesellschaft angehen“, sagt Angelika Huntgeburth. „Wenn ein Junge verkündet, ich werde Kfz-Mechaniker, sagt alles: toll, gute Idee. Ein Mädchen dagegen muß sich, noch ehe sie überhaupt angefangen hat, tausendmal rechtfertigen. Das ist hammerhart.“

Doch es gibt auch einen gegenläufigen Trend, vor allem in den Zukunftsberufen: In der Kommunikationselektronik etwa ist der Frauenanteil zwischen 1990 und 1996 von 4,7 auf 14,2 Prozent gestiegen, in der Industriemechanik gibt es statt 12,7 Prozent mittlerweile 16,3 Prozent Frauen. „Mädchen schauen sich sehr wohl an, wo sie gute Aufstiegschancen haben“, schließt daraus Barbara Beuys.

Die jungen Frauen hätten sehr sensibel auf den Arbeitsmarkt reagiert, bestätigt Clive Hewlett vom Amt für Berufs- und Weiterbil- dung. Schließlich stamme der Löwenanteil der 4,7 Millionen Arbeitslosen aus dem gewerblich-technischen Bereich. „Junge Frauen sind besser beraten, wenn sie in den Domänen mit Zukunft, also dem Banken- und Versicherungswesen und den höherwertigen kaufmännischen Berufen, bleiben. Da verdrängen nämlich derzeit die Jungen die Mädchen.“

Doch wo können Mädchen ihre Fähigkeiten erproben? Die Orientierungsangebote würden zusammengespart, klagen die Fachfrauen. Nun, meint Hewlett, das Hamburger Angebot sei besser als in vielen Flächenländern der Republik. Allerdings, muß er zugeben, die sogenannten „Lernarrangements“, dreiwöchige Berufspraktika für SchülerInnen der neunten Klassen, die werden zum Ende des Jahres „leider“eingestellt. Rund eine Million Mark kostet dieses Angebot.

Zahnrad e.V.: Berufsvorbereitungsjahr für Mädchen von 15 bis 25 Jahren (noch Plätze frei, jetzt melden) 6511013

Mut – Mädchen und Technik: Beratung, Hilfe bei Praktikums- und Lehrstellensuche für Mädchen von 14 bis 20 Jahren 21112148

Inci e.V.: Beratung bei der Berufsfindung, aber auch Unterstützung während der Ausbildung für Mädchen ausländischer Herkunft von 12 bis 25 Jahren 395847

Dolle Deerns: Berufsfindung und Lebensplanung für Mädchen von 14 bis 24 Jahren 434482