■ Vorschlag
: Kontaktaufnahme: Ein Stück über Leben und Überleben

Undurchdringbar ist die Maske der Schauspielerin Sigrid Grajek. Mit starrem, nach innen gekehrtem Blick schaut sie ins Publikum, wirft Sätze heraus, die gedrechselt, bar jeder Spontaneität und falsch sind – aber dadurch genau richtig. Denn das Thema des Stückes „Salix Alba, Silberweide“, das derzeit im Ballhaus Naunynstraße aufgeführt wird, kreist ums Überleben nach sexuellem Mißbrauch. Dafür aber gibt es keine Sprache. Schon gar nicht am Anfang des Erinnerns. Zwischen jahrelanger Tabuisierung in der Familie und einer Meisterschaft in Amnesie bei den Mißbrauchten ist Kommunikation ausgeblendet.

„Leben nach dem Überleben“, so der Untertitel der Musik-Text- Collage von Petra Krömer, die sich aus einer ungewöhnlichen Perspektive dem Thema nähert: eine Frau berichtet, wie der Mißbrauch bis heute ihr Leben bestimmt. Darüber wird in der Regel in Therapien gesprochen, nicht aber auf der Bühne. Oft haben Mißbrauchte ein gebrochenes Verhältnis zu ihrem Körper, oft können sie Nähe nicht ertragen, sie leben manchmal mit dem Gefühl, mehrere Identitäten zu haben und fühlen sich schuldig, wenn sie die Tabus brechen, weil sie damit das Leben der Mißbraucher in Unordnung bringen. In dem Stück „Salix Alba“ wird versucht, diese Erfahrungen poetisch zu transzendieren und dadurch öffentlich zu machen. Dabei wird ganz unklassisch vorgegangen. Akteure sind der Text und die Musik. Wo Sprache nicht weiterkommt, setzt die Musik – komponiert und gespielt von der Autorin – auf eine versöhnliche Art ein. Sie spiegelt den Alltag und das Irgendwieweiter.

Einen Text, der auf individuellem Erleben aufbaut, so zu reflektieren und dramatisch zu gestalten, daß er für viele spricht, ist eine Herausforderung – die bei „Salix Alba“ gelingt. Die gewählten Metaphern verschleiern nichts. „Mein Schweigen war mein einziges Eigenes auf der Welt / Ich konnte andere Menschen nur auf dem Papier umarmen / Wer mir näher kommt, könnte feststellen, wer ich wirklich bin / Hinter der Fassade lauert ein Monster.“

Am Ende des Stückes kehrt so etwas wie Ruhe ein. Die Maske wird aufgeweicht, Kontakt mit den anderen und Vertrauen sind möglich. Waltraud Schwab

Am 7./8. September und vom 12. bis 15. September, 20 Uhr, Ballhaus Naunynstraße 27, Kreuzberg