Blumen und 500 Mark für das siebte Kind

■ Nur 9.700 Familien haben vier und mehr Kinder. Beim siebten wird der Bundespräsident Ehrenpate und schickt einen Scheck. Das passiert in Berlin etwa zwanzig Mal pro Jahr

Auch wenn viele vom sonntäglichen Familienessen an einer langen Tafel träumen und die Entfremdung zwischen den Generationen beklagen, wollen immer weniger Berliner eine Großfamilie haben. Unter den fast 1,4 Millionen Familien in der Stadt gibt es derzeit nur etwa 46.500 mit mindestens drei Kindern. Etwa 9.700 haben vier und mehr Sprösslinge. Wie viele davon acht oder mehr Kinder haben, wird nicht erfaßt. Doch darüber, wie viele Familien sieben Kinder haben, wird akribisch Buch geführt – im Bundespräsidialamt. Wird in einer Familie das siebte Kind geboren, kann eine Ehrenpatenschaft durch den Bundespräsidenten beantragt werden. Dann erscheint ein Vertreter des Bezirksamtes mit einem Blumenstrauß, einer Urkunde und einem Scheck über 500 Mark. In Berlin passiert das etwa zwanzig Mal im Jahr. In der DDR wurde der Staatsratsvorsitzende bereits beim fünften Kleinbürger aktiv.

In Friedrichshain war der Jugendstadtrat seit 1992 nur ein einziges Mal im Auftrag des Bundespräsidenten tätig. In Charlottenburg gab es in den letzten zwei Jahren nur eine einzige solche Großfamilie. In den anderen Bezirken sieht es ähnlich aus. Der Spitzenreiter mit jährlich acht Patenschaften ist Neukölln, der bevölkerungsreichste Bezirk. Daß es gemessen an der Einwohnerzahl von 314.000 nicht mehr sind, wundert Josef Schreiner vom Jugendamt nicht. Das Kindergeld – 220 Mark für das erste und zweite Kind, 300 für das dritte und 350 Mark ab dem vierten – sei „nur ein Tropfen auf den heißen Stein“.

Die Anzahl der Ehrenpatenschaften seit 1949 ist ein Abbild der gesellschaftlichen Entwicklung. Waren es während der zehnjährigen Amtszeit von Theodor Heuss etwa 16.000, schlug sich der wirtschaftliche Aufschwung in der nur fünfjährigen Amtszeit von Gustav Heinemann (1969 bis 1974) mit fast 11.500 Ehrenpatenschaften nieder. In den folgenden Jahren ging die Zahl mit zunehmender Arbeitslosigkeit stetig nach unten. In der Amtszeit von Walter Scheel (1974 bis 1979) waren es nur noch etwa 4.000, bei Carl Carstens (1979 bis 1984) meldeten sich nur noch etwa 1.000 Familien mit dem siebten freudigen Ereignis. In der Amtszeit von Richard Weizsäcker (1984 bis 1994), in die die Maueröffnung fiel, stieg die Zahl auf 4.388 an. Roman Herzog übernahm im vergangenen Jahr 616 Patenschaften. Barbara Bollwahn